Zum Konzert am 4. Juli 1984 in München    


     Süddeutsche Zeitung vom 6. Juli 1984     

Prophetenworte zum Katholikentag

Mendelssohns Oratorium "Elias" im Bayerischen Nationaltheater

   

Den Dimensionen des Katholikentags entsprachen Vielzahl und Wert des Aufgebots auf der Bühne des Nationaltheaters. Wer zählt die Stars und nennt die Namen ... Wolfgang Sawallisch befehligte die Massen zügig, unsentimental, dramatisch, mit unmißverständlichem Schlag und mit Sinn für Mendelssohns vornehme Kühle. Wie unverschnörkelt und prägnant sich in "Elias", dem Oratorium des Gottvertrauens, Klassizismus und romantisierendes Neubarock äußern, blieb deutlich trotz der schier unübersehbaren singenden Heerscharen; ja mitunter meinte man, die kühle Helligkeit einer jener neugotischen Kirchen um sich zu haben, für die Mendelssohns geistliche Musik geschaffen scheint – so in den Soli der diskret singenden Margaret Price, den ätherischen Ariosi von Peter Schreier, den Passagen der Solisten des Tölzer Knabenchors und in den Ensembles mit Marianne Seibel, Cornelia Wulkopf, Heiner Hopfner, Kurt Moll und Waldemar Wild.

Brigitte Fassbaenders Auftritte brachten dramatischen Impuls. Mit hohem Kunstverstand und faszinierendem Espressivo vereinigte Dietrich Fischer-Dieskaus Elias den Zorn, die Würde, das Wundertäter-Pathos und die verhaltene Nachdenklichkeit des Propheten. Ein durchaus mit Nerven ausgestattetes Monument des flammenden Ingrimms, sehr wohl imstande, den Himmel zu Regenfluten zu erweichen und falsche Götter zu stürzen. Die Größe lag im differenzierten Ausdruck.

Für den ebenso schwierigen wie ausgedehnten Chorpart hatte man den Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf aufgeboten, aufs sorgfältigste vorbereitet durch Hartmut Schmidt. Die Gäste kultivieren den runden, weichen und melodischen Klang bis an die Grenze zur Manier, untadelig in Aussprache und Rhythmus, ausgeglichen bis in die hohen Sopranlagen. Mendelssohns nachempfundene Polyphonie begab sich in schöner Ebenmäßigkeit, auch dank der Präsenz des Staatsorchesters. Es war eine souveräne, durchdachte und hochwertig besetzte Aufführung in Großformat; die Klarheit und die klugen Proportionen von Wolfgang Sawallischs Schallplattenaufnahme erreichte sie nicht.

Mendelssohn für eine Massenveranstaltung und für einen Theaterraum. Das Publikum jubelte denn laut und hartnäckig, als habe es einer Opernpremiere beigewohnt, die ausnahmsweise in Frack und Abendkleid vor sich gegangen war.

Karl Schumann

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     Abendzeitung, München, Datum unbekannt     

Großer Abend mit "Elias"

Mendelssohn-Oratorium im Nationaltheater

   

Mit den in letzter Zeit seltener gewordenen Suchzetteln nach Eintrittskarten erhofften sich viele junge Leute noch Zugang ins Münchner Nationaltheater. Gewiß nicht allein aus künstlerischen Gründen, sondern zugleich religiös motiviert. Dem latenten Wunschdenken nach einer kraftvollen Persönlichkeit, die imstande ist, Hoffnungen der vielen Irritierten auf eine Überwindung des Chaos zu wecken, kommt die alttestamentarische Figur des Propheten Elias wie kaum eine zweite entgegen.

Mendelssohns 1846 in Birmingham uraufgeführtes Oratorium um den für Gott fanatisch eifernden Propheten ist aktueller denn je. Ein Werk, das in seiner erregenden Dramatik wie im lyrischen Schimmer der Verklärung die Gemüter spontan anspricht – zumal in einer grandiosen und spektakulären Aufführung, wie sie Wolfgang Sawallisch zu Beginn des Münchner Katholikentages realisiert hat. Eine alle Beteiligten zu höchster Konzentration zwingende Interpretation.

Ein Sonderplatz dicht neben dem Dirigentenpult war Dietrich Fischer-Dieskau eingeräumt, der in stimmlicher Bestform mit geradezu hellseherischer Intensität das Charakterbild des von Gott entflammten Propheten nachzeichnete. Von ihm übertrugen sich die Impulse auf das exzellente Solistenaufgebot, in dem Margaret Price die Führung unter den Damen Marianne Seibel, Brigitte Fassbaender, Cornelia Wulkopf übernahm, und Peter Schreier bei den Herren Kurt Moll, Heiner Hopfner, Waldemar Wild. Vier Solisten des Tölzer Knabenchors standen ihm zur Seite: der eine als Verkünder des Regenwunders, die anderen dem Elias trostbringendes Engelterzett.

Sawallisch hatte noch ein übriges getan und den für Oratorien-Aufführungen berühmten Chor des Musikvereins Düsseldorf eingeladen. Ein von Hartmut Schmidt einstudiertes Großensemble, das an stimmlicher Reinheit bis zu den gewaltigsten Forteausbrüchen keine Wünsche offenließ. Differenziert spannte Sawallisch Solisten und Chöre in ein orchestrales Netzwerk ein, das die Staatskapelle glanzvoll reflektierte. Nach ergriffenem Schweigen endlose Ovationen für einen ganz großen Abend.

Helmut Lohmüller

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