Zur Liedermatinee am 18. September 1983 in Berlin


    

     Der Tagesspiegel, Berlin, Datum unbekannt    

Nachtrag zum Brahms-Jahr

Liedermatinee Dietrich Fischer-Dieskau und Hartmut Höll

     

Die bekannten Brahms-Lieder "Wie bist du, meine Königin", "Wir wandelten", "Ruhe, Süßliebchen" aus der "Schönen Magelone", "Ständchen" und schließlich die innig versunkene "Feldeinsamkeit" folgten erst als Zugabe. Mit ihrem eigentlichen Programm, das ursprünglich schon für die Berliner Festwochen 1983 angekündigt war, stellten Dietrich Fischer-Dieskau und Hartmut Höll dagegen den unbekannteren Brahms vor, nicht den Komponisten lockerer Volks- und Liebeslieder, sondern den problematischen Menschen, der Enttäuschungen durch kauzigen Humor verdeckt, der fehlende Liebe durch bürgerliche Ehre, durch "der Ehre Regenbogen", wie es bei Gottfried Keller heißt, zu ersetzen versucht. Wer dieser Liedermatinee in der Deutschen Oper aufmerksam zuhörte und dabei auch die sorgfältige Zusammenstellung der Liedgruppen beachtete, dem mußte schließlich ein plastisches Bild des Menschen Johannes Brahms vor Augen stehen, der nirgends sonst autobiographisch so deutlich wird wie gerade in seinen Liedern.

Als wollte Dietrich Fischer-Dieskau tradierte Vorstellungen vom stets maßvollen Brahms umstoßen, gestaltete er zu Beginn die Gesänge der Liebesqual mit besonders großer Breite des Ausdrucks Beim Mörike-Lied "An eine Äolsharfe", das Hartmut Höll im silbrig glitzernden Klavierdiskant begleitete, verblieb er noch im balladesk erzählenden Tonfall, um dann aber in den folgenden Gesängen nach Platen und Daumer dem aufbrausenden Ton der Verzweiflung mit realistischer Bühnenpräsenz Raum zu geben. Man könnte sich darüber streiten, ob die Dramatik des Ausdrucks nicht schon gelegentlich die Grenzen der Liedgattung überschritt. Unstrittig ist dagegen, daß Dietrich Fischer-Dieskau und mit ihm der kongeniale Hartmut Höll am Klavier alle Nuancen des Textausdrucks mit großer Genauigkeit und suggestiver Intensität wiedergaben.

Bei der nostalgisch tröstenden "Abenddämmerung", dem munter verharmlosenden Volkslied "Der Gang zum Liebchen" und dem Naturbild "Auf dem See", die den lyrischen Gegenpol bildeten, bezauberten Sänger und Pianist durch ihr intensives Piano, das im zweiten Programmteil auch im Lied "Geheimnis" eine ähnlich starke Wirkung hervorrief.

Der Platz reicht nicht aus, um die Interpretation aller zwanzig Lieder und Gesänge eingehend zu würdigen, auch um kleinere kritische Anmerkungen zu dem vielleicht etwas schnellen "Auf dem See" und der etwas zu lauten "Serenate" detaillierter auszuführen. Deshalb soll hier aus dem zweiten Programmteil nur das Lied "Therese" nach Gottfried Keller herausgegriffen werden. Vordergründig könnte es als neckischer Gesang einer reifen Frau an einen "Milchjungenknaben" mißverstanden werden. Die sinnende Zartheit, mit der der Sänger jedoch gerade dieses Lied anstimmte, die darstellerische Feinheit, mit der er noch hinter leichter Ironie das tiefe Leiden versteckte, verriet, wie intensiv er sich mit diesen Liedern auseinandergesetzt hat. Dietrich Fischer-Dieskau ist eben doch mehr als "bloß" ein glänzender Sänger und Darsteller.

Albrecht Dümling

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