Zum Konzert am 22. August 1983 in Salzburg


Salzburger Nachrichten, 24. August 1983

Durch Licht zur Nacht

Das Melos-Quartett und Dietrich Fischer-Dieskau im Achten Kammerkonzert der Festspiele

Spätestens nach dem Achten Kammerkonzert, am Montag im Großen Saal des Mozarteums, ist den beiden Veranstaltern der Reihe, den Festspielen und der Stiftung Mozarteum, höchstes Lob auszusprechen. Wo andernorts Beliebigkeit oft und oft den Ton angibt, wo der Talmiglanz des Austauschbaren vorgezeigt wird, regiert in der Kammerkonzert-Serie, selbst an den weniger geglückten Abenden, musikalisch-gedankliche Überlegung. Das Publikum wird herausgefordert, ohne überfordert zu werden, und straft wie nebenbei das Gerücht Lügen, im Grunde wolle es eigentlich nur festlich unterhalten werden, sich nicht mit komplizierterer Materie abmühen.

Selbst wenn man in Betracht zieht, daß am Montag sicherlich viele wegen Dietrich Fischer-Dieskau gekommen sein dürften, schmälert das nicht die Hochachtung vor der Konzentrationsfähigkeit gerade im Hinblick auf ein so wenig bekanntes "klassisch modernes" Stück wie das "Notturno", op. 47, für Streichquartett und Singstimme von Othmar Schoeck.

Von diesem 1957 verstorbenen Schweizer Komponisten war im Vorjahr die Oper "Penthesilea" konzertant in der Felsenreitschule zu hören. Sie wurde damals zu einem gleichermaßen aufrüttelnden Erlebnis wie jetzt, im Nachklang, das Notturno, in dem in fünf Sätzen neun Gedichte Nikolaus Lenaus und eines von Gottfried Keller weniger vertont werden als eine Botschaft vermitteln: von Resignation zur Zuversicht.

Schoeck bedient sich in diesem 1931 komponierten, in dichtes Liniengeflecht eingehüllten Werk durchaus traditioneller Tonmittel, ohne daß der Klang vordergründig illustrativ wirken würde. Vielmehr spricht aus der Stimmführung der Instrumente und des in bestimmendem Maß instrumental geführten Baritons ebenso wie in der formalen Anlage im Großen wie im Kleinen Schoecks Befähigung zu verdichtender Konzentration. Die Musik erzeugt dadurch eine beinahe unheimliche Sogwirkung, der man sich schon beim ersten Hören nicht entziehen kann.

Freilich: Dietrich Fischer-Dieskau war dem Werk ein gleichermaßen musikalischer wie literarischer Anwalt, auf einsamer Höhe der Charakterisierungskunst, mit einem stimmlich-deklamatorischen Ausdruck, wie ich ihn mir heute von keinem anderen Sänger erwarten darf. Da sind Reife, Weisheit, Bekennermut und unbestechliche Souveränität, die in jedem Moment in Bann schlagen.

Um kein Jota geringer intensiv, mithin im besten Sinne mitgestaltend, stückentscheidend, werktragend: die Leistung des Melos-Quartetts mit Wilhelm Melcher, Gerhard und Hermann Voss und Peter Buck, vier Kammermusikern, die ihre Aufgabe aus der Bestimmung des Genres heraus ernst nehmen und mit einer Selbstverständlichkeit und Klarheit uneitel, integer und immer im Dienst der Sache spielen, was beispielgebend ist.

[...]

Ein denkwürdiger Abend, tatsächlich ein "Festspiel"-Konzert in seiner schönsten Bedeutung.

Karl Harb

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