Freiburg: Theodor Egels Abschied mit Bachs Matthäus-Passion

[...]

Noch einmal auch hatte Egel Solisten der allerersten Garnitur um sich versammelt. Eine Besetzung, die nicht nur in Freiburg Seltenheitswert haben dürfte. Dietrich Fischer-Dieskau sang eine Christus-Partie, wie ich sie so überzeugend einfach noch nicht gehört habe – ein Christus, dem nicht nur unerschütterliche Gottesfurcht, sondern auch Verzweiflung und Angst anzumerken ist; ein Christus, dem die ganze dynamische Bandbreite von kraftvollen forte-Ausbrüchen bis zum verinnerlichten pianissimo zur Verfügung steht. Auch die anderen Solisten standen Fischer-Dieskau weder an stimmlicher Perfektion noch an sängerischer Intelligenz nach. Peter Schreier war ein bewußt dramatischer, parteinehmender Evangelist, Siegmund Nimsgern sang die kleinen Partien mit einer Chrakterisierungsfähigkeit, die es fertigbrachte, etwa den Judas mit einem einzigen Satz zum Schurken zu stempeln.

Daß beide auch ihre Arien mit unerhörter Differenzierungskunst gestalteten, daß ihnen hierin Julia Varadys lupenreiner Sopran, ihre schier grenzenlose Ausdruckskraft und Julia Hamaris kultivierter, aber trotzdem intensiv-ergreifender Alt (denkwürdig: ihre "Erbarme dich"-Arie) durchaus ebenbürtig waren, machte diese Matthäus-Passion zu einer sängerischen Sternstunde.

[...]

Stephan Hoffmann