Zum Liederabend am 29. Oktober 1982 in Hagen

    

     Westfalenpost, Hagen, 30. Öktober 1982     

    

Warmes Bad im Strom der schönen Klänge

Bei Dietrich Fischer-Dieskau kann man Eduard-Mörike-Lyrik wiederentdecken

     

Das erwartete Interpretationsereignis, ein Stelldichein der Kenner und Bewunderer, war Dietrich Fischer-Dieskaus beeindruckender Liederabend gestern abend in Hagen. Der 57jährige Bariton gilt noch immer weltweit als bester deutscher Gesangskünstler dieses Jahrhunderts und kann sich Eigenmächtigkeiten wie ein von Vorankündigungen total abweichendes Programm leisten: Statt Goethe-Liedern gab es Mörike-Lyrik aus einem Guß.

Zu entdecken gab es an diesem Abend nicht einen in allen Lagen ausgereiften schönen Bariton auf Weltniveau. Er hat die ganze Welt mit seiner Stimme beglückt, ein Grandseigneur mit Schauspieler-Qualität, mit beschwörendem Sprechgesang, wie beim "Feuerreiter", "Zur Warnung" und dem glänzenden "Abschied".

Begegnen durfte man einem deutschen Dichter: Jenem Eduard Mörike, der immer zu den Stillen im Lande gehörte, dessen kostbar-schlichte Lyrik von Hugo Wolf so genial in die Weltsprache Musik übersetzt worden ist. Daß man in Deutschland inzwischen ein Glanzabitur bestehen kann, ohne Mörikes Namen zu kennen, ist ein Skandal. Fischer-Dieskaus Mörike-Interpretationen kommt exemplarische Bedeutung zu – ein Sänger hält ein wertvolles Kapitel deutscher Dichtung lebendig.

FischerDieskau singt nicht, er zelebriert jedes Wort des unverstellt gefühlvollen Romantikers. Der Bariton der Weltklasse hat immer noch eine herrlich-kultivierte Stimme, deren Ton trägt, Volumen besitzt, unnötiges Forte nicht bemühen muß.

Seine Zuhörer können ein Bad im Strom der schönen Klänge nehmen, mezza-voce-Kultur in reiner Form genießen. Beglückend darf man feststellen, wieviel Poesie in die intellligente Deklamation einfließt, ohne daß man mit der hauchfeinen Grenze zwischen Schmelz und Schmalz auf Kollisionskurs ginge.

Eine herrliche Stimme, kostbare deutsche Dichtung im schönen Gewand der Musik, dazu mit Jörg Demus ein seltener Glücksfall von einem behutsam dienenden Begleiter am Flügel, ein so kultivierter Dreiklang bietet sich geschultem Gehör nicht alle Tage. Der Jubel in der (fast ausverkauften) Hagener Stadthalle war berechtigt. "Laß, o Welt, o laß mich sein", ohne Zugaben ließ man ihn nicht.

Ursula Heyn

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