Zum Konzert am 4. Februar 1982 in Berlin


     

     Der Tagesspiegel, Berlin, 6. Februar 1982     

     

Bartók original

Philharmoniker mit Varady, Fischer-Dieskau und Christian Ehwald

      

Das philharmonische Programmheft zeigte zur Aufführung nach der Pause "A kékszakállú herceg vára" an, kleiner gedruckt darunter "Herzog Blaubarts Burg", die einaktige Oper von Béla Bartók also, die konzertant in der ungarischen Originalsprache zu Gehör kam. Wenn dies als ein recht esoterisches Unternehmen anmutete - wie viele West-Berliner Konzertgänger können schon Ungarisch! - und es tatsächlich auch war, so trug es dennoch seine künstlerische Berechtigung in sich, die sich aus dem ablesen läßt, was Zoltán Kodály nach der Uraufführung 1918 über das Werk seines Landsmannes schrieb: "... wenn sich die ungarische Sprache einmal auf die eigenen Beine stellt ... diesen Weg zur Befreiung der Sprache, zur Steigerung ihres natürlichen Tonfalls ins Musikalische betrat Bartók und brachte damit die Entwicklung des ungarischen Rezitativ-Stils um ein großes Stück vorwärts. ‚Herzog Blaubarts Burg’ ist das erste Werk auf der ungarischen Opernbühne, worin der Gesang von Anfang bis Ende in einheitlich fließendem Ungarisch zu uns spricht."

Vokalsolisten der Interpretation, die der junge Dirigent und Bartók-Spezialist Christian Ehwald aus der DDR mit den Berliner Philharmonikern sorgsam entfaltete, waren Julia Varady und Dietrich Fischer-Dieskau. Seit längerem auf deutschen Opernbühnen sehr gefeierte Sopranistin - die Berliner "Figaro"-Gräfin und künftige Aida -, bezeichnet Julia Varady ihren Mann, Dietrich Fischer-Dieskau, noch heute als "Vorbild und Lehrer zugleich". Zumindest in diesem Fall indes hat er von ihr lernen können - sie ist eine aus Rumänien gebürtige Ungarin -, nämlich den ungarischen Sprachklang, der sich bei beiden im Tonfall kaum zu unterscheiden schien. Da der Text zweisprachig im Programm mitzulesen war, konnte sich auch der Laie ein wenig einhören und zum Beispiel Wörter wie die immer wiederkehrende Anrede "Kékszakállú" (für Herzog Blaubart) im Ohr behalten. Eine Annäherung.

Hinzu kam, daß im weicheren Klang des Ungarischen die entschiedene Charakterisierungskunst der beiden Sänger das musikalische Verständnis erleichterte. "Herzog Blaubarts Burg", auf eine symbolistische Dichtung des ungarischen Maeterlinck-Schülers Béla Balász 1911 komponiert, verlegt den alten Märchenstoff um das rätselvolle Schloß, den bösen Ritter und die verbotenen Kammern in die Tiefe der menschlichen Psyche: die Burgbesichtigung als Seelenanalyse mit tragischem Ausgang. "Auftaucht das alte Haus. Muß ich es nennen? Ihr werdet’s tief in euch erkennen", heißt es im Prolog. Und wurde "Herzog Blaubart" oft als ungarisches Gegenstück zu "Pelléas et Mélisande" bezeichnet, so mag die Wiederauffindung der Skizzen zu Debussys "Maison Usher" nach Edgar Allan Poe, in der gleichfalls ein verwunschenes Gemäuer die Hauptrolle spielt, ein weiteres Licht auf diese ungarisch-französische Zeitgenossenschaft werfen.

Bei Bartók geht Judith im Bewußtsein ihres Untergangs an die Ergründung der Burg, weil sie Blaubart liebt. Sie erwirbt ein Wissen, mit dem man nicht leben kann: blutig die Folterkammer, die Waffenlager, die Schätze, der Garten, die Ländereien, mit Tränen gefüllt der See. Der siebente Schlüssel, den sie im Schloß dreht, bringt die Begegnung mit drei schönen Frauen, die Blaubart vor ihr geliebt hat und denen sie nun folgen muß. Aus "misterioso" lastenden Oktavgängen erhebt sich eine Musik, deren Palette reichhaltig changiert zwischen expressionistischer Geste, Repetition, Rezitativ, Illustration unter gefälliger Verwendung der Harfen und dem "Leitklang" (Ehwald) der kleinen Sekunde, der jeweils die Umschwünge ins Unheimliche, Blutbefleckte charakterisiert, eine Musik auch, die das Szenische in sich trägt - und bei konzertanter Wiedergabe vermissen läßt wie alle hochrangigen Bühnenwerke -, obwohl sie ein Psychodrama darstellt. (Vielleicht ergäbe Debussys "Usher"-Fragment, mit Bartóks "Blaubart" kombiniert, einen beziehungsreichen Opernabend.)

In Julia Varadys Interpretation der Judith-Partie spiegeln sich die differenziertesten Empfindungen - wissende Furcht, Selbstbewußtsein, in dem etwas von dem Erlösungsdrang der Wagnerschen Frauengestalten schwingt, bis zur Zerstreutheit, die den Klang klein und scheu werden läßt, wo der Komponist "senza espressione" vorschreibt. ("Schön und groß sind deine Lande"). Fischer-Dieskau setzt dagegen, nicht weniger meisterhaft durchgestaltet, das männliche Pathos, das, in den Aufschwüngen dieser Szene gipfelnd, trügerische Harmonie besingt.

Alles in allem eine Rarität im philharmonischen Programm, die ihren Sinn nicht verfehlte, weil ein elitäres Angebot, soweit irgend möglich, popularisiert wurde.

[...]

Sybill Mahlke

     


zurück zur Übersicht