Zum Liederabend am 1. Oktober 1981 in Berlin


    

     Der Tagesspiegel, Berlin, 3. Oktober 1981     

Aus Berliner Salons

Dietrich Fischer-Dieskau und Aribert Reimann in der Staatsbibliothek

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Mit Liedern und Gesängen von Reichardt und Zelter begannen Dietrich Fischer-Dieskau und Aribert Reimann ihre Preußische Soiree im ausverkauften Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek. Aribert Reimann begann auf dem stilgerechten Hammerflügel mit einem ausschweifenden Vorspiel, einer bunt gestückelten freien Fantasie, mit der Zelter Schillers sehnsuchtsvollen Rückblick nach den Sängern der Vorwelt (gemeint ist die griechische Antike) einleitete. In merkwürdigem Kontrast stand dazu die Einfachhheit der eigentlichen Gesangskomposition, die entsprechend den Grundsätzen der Berliner Liederschule das frei-rhythmisch deklamierte Gedicht ganz in den Vordergrund stellte. Stärkeren melodischen Eigenwert hatten dagegen die Goethe-Lieder "Um Mitternacht" und vor allem "Gleich und gleich". Mit diesem koloraturenreichen Liedchen gewann der Sänger leichter die Sympathien des Publikums als zuvor mit den Nachklängen der Antike.

Daß auch für den vielseitigen Fischer-Dieskau ein solches Programm ungewöhnlich ist, war an einigen Unebenheiten der Interpretation zu merken. Auch Reichardts kräftig-trutzige Goethe-Gesänge "Aus Lila" und "Mut", deutlicher Ausdruck des selbstbewußter werdenden Bürgertums, erklangen ein wenig zu eintönig polternd. Musikalisch eindrücklicher waren dagegen die Zerrissenheit der Rhapsodie aus der "Harzreise" und die Elegie aus "Euphrosyne".

Die Lieder Albert Lortzings, dessen Vater noch Mitglied von Zelters "Liedertafel" gewesen war, orientieren sich nicht mehr an antiken Vorbildern. Sie waren auch nicht mehr allein für großbürgerliche Salons und Familienzirkel bestimmt. Nach den Befreiungskriegen drängte das nationale Moment nach vorn und mit ihm auch das Kleinbürgertum. Das Lied "Dorfhammer" mit seinem anspruchsvollen Klavierpart handelt sogar, ähnlich wie Lortzings Oper "Regina", von der Eisenproduktion. Schubertsche Einflüsse wehen im "Ständchen" nach, während das "Weinlied" in witziger Beweiskette aufzeigte, wie der Wein die Kunst befördert und diese wiederum den Weinbau. Diese auch musikalisch wirkungsvollen, ausgefeilt dargebotenen Lieder waren für mich echte Entdeckungen.

Etwa der gleichen Generation wie Lortzing gehören Otto Nicolai, Giacomo Meyerbeer und Felix Mendelssohn Bartholdy an. Die von ihnen bevorzugten Dichter waren Wilhelm Müller und Heinrich Heine. Was bei Lortzing noch echte Volkstümlichkeit war, ist hier schon bewußt eingesetzter Volkston, der nun auch in die großbürgerlichen Salons eindrang. Besonders überraschte mich die konzentrierte, raffinierte Einfachheit von Meyerbeers Heine-Liedern. So stützt sich etwa der Klavierpart zu "Hör ich das Liedchen klingen" ganz auf das Intervall der fallenden Sekunde. Und das Heine-Gedicht "Komm!" ist mit genialer Sicherheit als italienische Canzonetta vertont. Sonderbeifall erhielt Dietrich Fischer-Dieskau gerade für dieses melodisch weitgespannte Liebeslied sowie zum Schluß für das mit großer stimmlicher Leichtigkeit locker vorgetragene "Andere Mailied" von Mendelssohn. Die Schlußzeile dieser schelmischen Warnung vor Mädchencharme, "Vertrau ihr nicht, sie narret dich", besitzt schon Ohrwurmqualitäten. Aribert Reimann, der dem Hammerflügel durch Dämpfung oft reizvolle cembaloartige Klänge abgewann und in einem Nicolai-Lied bis an die Grenzen seiner pianistischen Kunst vorgedrungen war, ließ es hierbei auch im Klavierpart nicht an Charme fehlen. Überaus herzlicher Beifall für diese an Entdeckungen so reiche Soiree.

Albrecht Dümling


    

     Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. Oktober 1981     

Berlin: Festwochen-Kehraus

Floskelhaftes und wahrhaft Erhabenes

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Noch einmal war der unermüdliche Fischer-Dieskau zu hören. Im überfüllten Saal der Scharounschen Staatsbibliothek sang er, von Aribert Reimann unübertrefflich begleitet, eine "preußische Soiree". Fast alle Lieder des kuriosen Programms waren unbekannt oder äußerst selten aufgeführt. Goethes Briefpartner Carl Friedrich Zelter, Gründer der Berliner Singakademie, beginnt die Vertonung von Schillers "Sänger der Vorwelt" mit einem langen ornamentalen Vorspiel und läßt die Singstimme wahrhaft "zum Himmel singen". Von den drei Goethe-Liedern war "Der Harfenspieler" mit der weit ausladenden Melodie zu "Die kummervollen Nächte" besonders reizvoll erfunden. In dem etwas redseligen "Gleich und Gleich" gab Fischer-Dieskau alle Kunst seines Vortrags, Reimann die zartesten Farben seines Klavierspiels. Nach einer Goethegruppe von Joh. Fr. Reichardt überraschten drei Opernmeister durch Phantasie in der kleinen Form: Albert Lortzing, Otto Nicolai und Giacomo Meyerbeer. Nicolais "Meine Blumen" ist allerdings der Schubertschen Vertonung desselben Textes von Wilhelm Müller nicht ebenbürtig. Doch Lortzings "Weinlied" hat eigenen romantischen Ton und Meyerbeers "Komm!" nach Heinrich Heine ist ein kleines Meisterstück der Lyrik, ganz ohne opernhafte Gebärde, melodisch genial dem Text anempfunden. [...]

H. H. Stuckenschmidt

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