Zum Liederabend am 15. November 1980 in Basel


    

     Basler Zeitung, 18. November 1980     

Jubel für Dietrich Fischer-Dieskau

     

Dietrich Fischer-Dieskau war schon mit betonter Herzlichkeit empfangen worden, und am Schluß seines Schubert-Abends herrschte im Musiksaal des Basler Stadtcasinos ein Jubel, wie er nur den ganz Berühmten zuteil wird; die Stimmung erinnerte ein wenig an die denkwürdigen Auftritte Artur Ruibinsteins, der wie kaum ein Musiker sein Publikum zu faszinieren verstand. Auch Fischer-Dieskau verfügt über eine solche, wenn auch anders geartete Ausstrahlung: Das Publikum wollte sich jedenfalls kaum satthören, und auch dem Sänger schienen ob derartiger Begeisterung die fünf Zugaben leicht zu fallen – erst der "Abschied" aus dem "Schwanengesang" ("Ade, du muntere, du fröhliche Stadt") gab das Zeichen zum Aufbruch.

Bei Dietrich Fischer-Dieskau stimmt alles, seine Auftritte leben von einer Perfektion, die in keinem Augenblick als unnatürlich auffällt. Das betrifft zunächst das äußerliche, dessen Bedeutung nicht unterschätzt werden darf: Er ist eine stattliche Erscheinung, wirkt frei von jeglicher Starallüre und sympathisch, scheint den einzelnen persönlich anzusprechen und erleichtert damit die Identifikation mit dem Vorgetragenen.

Ganz besonders gilt das aber fürs Musikalische. Fischer-Dieskau gestaltet seinen Schubert vor einem Hintergrund an wacher Sensibilität und langjähriger, reicher Erfahrung: Wie kaum ein Sänger unserer Tage hat er zu diesen Liedern etwas zu sagen. Er durchdringt Text und Musik gleichermaßen und weiß in der Anwendung der ihm zur Verfügung stehenden Ausdrucksmittel eine jederzeit überlegene Kontrolle zu wahren. Schubert wird hier nicht einfach gesungen, sondern deklamiert: Statt sich unvergänglicher Dramatik hinzugeben oder stimmliche Höhepunkte zu kultivieren, legt Fischer-Dieskau Wert auf das Herausstellen plastischer Gestalten und verleiht den Liedern jenen Dialogcharakter, der immer wieder aufs neue fasziniert.

Das Programm seines Extrakonzerts im Rahmen der Basler Solistenabende brachte ein weites und gleichwohl gezielt ausgewähltes Spektrum von Themen und Stimmungen; heftige Gegensätze dominierten den Abend und konfrontierten den Sänger mit höchsten Anforderungen. Zum Verweis auf die Welt der klassischen Bildung mit "Prometheus" (D 674) oder "Gruppe aus dem Tartarus" (D 583) kam eine um Nacht und Tod kreisende Liedergruppe mit, als Beispiele "Nachtstück" (D 672) und "Totengräbers Heimweh" (D 842) und das Thema "Liebe", etwa mit "Selige Welt" (D 743) oder "An die Laute" (D 905). Viel Abwechslung bot sich bezüglich der Textdichter und Entstehungsjahre, aber auch der Mischung zwischen Bekanntem und Unbekanntem: "Der Tod und das Mädchen" (D 531), "Wanderers Nachtlied" (D 768) oder "Der Musensohn" (D 764b) repräsentierten die Gruppe der oft gehörten "Schlager".

Nach einem schwierigen Einstieg mit "Prometheus", dem Goethe-Lied, das für mein Gefühl etwas hart geriet, sang sich Fischer-Dieskau zunehmend frei, um sich dann vor allem nach der Pause und in den Zugaben nach wie vor auf der Höhe seines Könnens zu zeigen: Die Unkenrufe vom Altern seiner Stimme sind jedenfalls fehl am Platz. Hervorragend auch die Zusammenarbeit mit dem Begleiter Jörg Demus, der sich höchster Diskretion befleißigte, dem Sänger jederzeit den Vortritt ließ, darob aber nicht auf das Setzen eigenwilliger und die Begleitung belebender Akzente verzichtete.

Peter Hagmann

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