Zum Konzert am 13. November 1980 in Freiburg


 

     Badische Zeitung, Freiburg, 15./16. November 1980     

Gereifte Blütenträume

Fischer-Dieskau und Jörg Demus in Freiburg

  

Erst eine Vermutung, dann eine Hilflosigkeitserklärung. Ad eins: Von keinem Sänger ist (vermutlich) in dieser Zeitung, zumeist auf ihrer Schallplattenseite, öfter die Rede als von Dietrich Fischer-Dieskau. Ad zwei: Was also über ihn noch schreiben, ohne in hilflose Wiederholungen zu verfallen? Vor allem, wenn er einen ganzen Abend lang Schubert singt, jenen Komponisten, der trotz einer ganz sicher singulären Bandbreite des Repertoires immer im Zentrum des singenden und schreibenden Interpreten Fischer-Dieskau stand.

Fischer-Dieskau im Freiburger Paulussaal, in einem Albert-Sonderkonzert - das ist vor allem ein Abend der Bestätigung , einer, der den Sänger in Gegensatz zum besungenen Prometheus bringt: Seine (künstlerischen) Blütenträume sind fürwahr gereift. Denn längst ist seine historische Bedeutung für die Wiedererweckung der Liedkunst unbestritten. Da ist (soll man sagen: immer noch - nur weil der Sänger bald ein Mittfünfziger ist?) die überragende Deklamationskunst, und da sind, merklich seltener als vordem, bisweilen auch die Nachteile allzu großer Souveränität, allzu selbstverständlicher Verfügbarkeit der Mittel: die Manierismen, die Überdeutlichkeit, die Verfärbung, die Hinwendung zum Extrem. Nur, indem man das pflichtschuldigst hinschreibt, kommt man sich bereits als kleinlicher Meckerer vor. Zu bezwingend ist immer noch die unvergleichliche Mezzavoce, der völlig unangestrengte und erst so zum immateriellen Interpretationsmedium, zur musikalischen Suggestion werdende Legatogesang. Welche Überredungskunst in den lyrischen Ausschweifungen des Barden ("An die Leier")!

Dennoch, im ersten Teil ist die "Rezitation" vorherrschend. Ein Programm(teil) der dunklen Stimmungen, der Dramatik, des Balldesk-Erzählenden. Lieder des Todes, Gedanken ans Jenseits in Wort und Ton. Ein rechtes November-Programm. In der Unbedingtheit, in der künstlerischen Selbstlosigkeit schon deshalb imponierend, weil gerade hier im häufig geforderten Forte der oberen Lagen am ehesten ein Abstumpfen der Stimme festzuhalten wäre. Auch ein Ausweis für Künstlertum: Fischer-Dieskau schwindelt nicht. Eine Schwäche verkehrt sich ins Gegenteil, wird quantité négligeable.

Nach der Pause dann mehr lyrische Reflexion; die in der schwebenden, wirklich "klingenden" Pianokultur gipfelt. Und da gab es eine weitere Bestätigung von Fischer-Dieskaus interpretatorischem Vermögen. Wenn er etwa in "Des Fischers Liebesglück" die immer vorhandene Wellenbewegung oder das Gleiten des Kahns mit der Stimme "malt", dann ist das gewissermaßen illustratives Singen. Oder besser: eine vokale Meisterleistung, die weit über's bloße Singen hinaus und in die Bezirke schierer Vokalpoesie hineinreicht.

Zur Komplettierung des Schubert-Glücks trägt Jörg Demus bei. Auch er: kein Begleiter, sondern ein Musiker, der Schubert-Momente, Schubert-Tonfälle aufspürt, die man hätte festhalten mögen. Großer Jubel, vier Zugaben.

Heinz W. Koch

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