Zum Liederabend am 9. November 1980 in Mannheim


Mannheimer Morgen, 11. November 1980

Der Tod als Bruder des Schlafes

Dietrich Fischer-Dieskau und Jörg Demus mit einem Schubert-Abend im Mannheimer Mozartsaal

Dreimal schon war Dietrich Fischer-Dieskau im Mannheimer Mozartsaal als Liedersänger zu Gast; er ist der einzige, der im vielfältigen Konzertprogramm, das an Liederabenden nicht eben reich ist, eine fast regelmäßige Begegnung mit Schubert- oder Schumann-Vertonungen vermittelt. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen wechselt Fischer-Dieskau oft und mit voller Absicht seine Begleiter am Flügel. Er kam mit Svjatoslav Richter, mit Günther Weißenborn und nun – im Sonderkonzert von Pro Arte – mit Jörg Demus. "Bei wechselnden Partnern", so sagte Fischer-Dieskau einmal, "ist man gezwungen, immer wieder neu, sogar neuartig zu denken und sich entsprechend zu orientieren."

Eine gewisse Neuorientierung hat seine Zusammenarbeit mit Jörg Demus tatsächlich erbracht. Demus bleibt vielleicht etwas mehr im Hintergrund, wenn die Partitur leidenschaftliche Steigerungen verlangt, da begnügt er sich weitgehend damit, den Sänger zuverlässig zu stützen. Die leisen Melodien, auch kleinste Wendungen, werden dagegen durch eine ungemein sangliche, kunstvolle, aber nicht künstliche Interpretation der Aufmerksamkeit des Zuhörers anempfohlen.

Dies wirkte sich sowohl inhaltlich als auch gestalterisch auf Fischer-Dieskaus Vortrag aus. 18 Lieder von Franz Schubert, die zwischen 1815 und 1827 entstanden, setzte er zu einem Seelenporträt des Komponisten zusammen, in dem sich der Reichtum und die starken Gegensätzlichkeiten an Stimmungen widerspiegelten. Fischer-Dieskau geht ja davon aus, daß manche Liedtexte, die Schubert vertont hat, sehr viel über seine Psyche aussagen, auch wenn sie literarisch nicht besonders anspruchsvoll sind. In diesem Programm nun hat Fischer-Dieskau eine auffallend große Zahl an Gedichten ausgewählt, die vom Tod oder von der Sehnsucht nach dem Tod sprechen.

In diesen Texten ist der Tod ausschließlich als Freund, als der Bruder des Schlafes dargestellt, der Erlösung bringt, und Schuberts Musik dazu strahlt eine heitere Ruhe aus, die das Entschweben nach "drüben" – so etwa in "Des Fischers Liebesglück" – auf geradezu suggestive Weise fühlbar macht. Und dies sind die Passagen, in denen Dietrich Fischer-Dieskau sich nicht mehr so oft und so überdeutlich wie früher auf Hervorhebung und Ausfärbung des Wortes konzentriert, sondern eher das Atmosphärische der Szene einzufangen versucht. Das herrlich fließende Spiel von Jörg Demus mag ihn wohl dazu angeregt haben, ein wenig von der wortgenauen Untersuchung des Textes abzugehen und sich im unnachahmlichen Piano der Schlichtheit der Melodie zu überlassen; sei es in "Der Tod und das Mädchen", im "Nachtstück" oder in "Totengräbers Heimweh".

Fischer-Dieskau verzichtete zwar auf die detailliertere Ausfärbung des Wortes, aber um so faszinierender wirkte seine Kunst, zwischen den Zeilen zu lesen; seine feinsten, sensibelsten Tondifferenzierungen und seine Ausdruckskraft in der rhythmischen Deklamation erschließen zielstrebig den Sinn und Inhalt der Schubert zur Vertonung bewog. Am Anfang und Ende des Abends standen denn auch der "Prometheus" und "Der Musensohn", zwei Goethe-Gedichte über das Selbstverständnis des Künstlers. Für den Musensohn mit den geflügelten Sohlen fand er eine herrlich gelöste Grundstimmung, die er mit überzeugender Leichtigkeit beibehielt, während die ungeheure Größe des Titans Prometheus, der die Menschen nach seinem Bilde formt, nicht in ihrer ganzen Dimension ausgemessen wurde. Dem hohen Bariton Fischer-Dieskaus kamen die aufsteigenden Gesangslinien in "Freiwilliges Versinken" sehr viel mehr entgegen.

Mit einer Reihe kleinerer, zum Teil auch beliebter Lieder als Zugabe ließen Fischer-Dieskau und Jörg Demus den Abend ausklingen. Sie erhielten begeisterten Applaus und wurden mit vielen Bravorufen gefeiert.

ML

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