Zum Liederabend am 3. November 1980 in Wuppertal


Westfälische Zeitung, Wuppertal, 5. November 1980

Ein Magier des Ausdrucks

Dietrich Fischer-Dieskau und Jörg Demus mit Schumann

Man hat ihn den Intellektuellen unter den heutigen Sängern genannt – für die einen ein Kompliment, den anderen ein Stück herbe Kritik. In der Tat fließt die geistige Auseinandersetzung mit dem Gesungenen bei kaum einem anderen Liedinterpreten so bestimmend in den Vortrag ein wie bei ihm.

Daß Dietrich Fischer-Dieskau vor allem anderen aber ein Sänger intensivsten Ausdrucks ist – heute vielleicht der Magier des Ausdrucks schlechthin – war erneut in seinem Schumann-Abend mit Jörg Demus zu erleben.

Daß ihm die ganze Palette romantischer Stimmungen zur Verfügung steht, ist wenig gesagt. Mitunter schien es, als wüchse den Liedern eine völlig neue Dimension zu: Die gleichzeitige Beschwörung aller in Text und Musik aufblitzenden Empfindungen. Jähe Ausdruckswechsel auf engstem Raum, von märchengläubiger Seligkeit bis in die Grimasse wilden Entsetzens. Dieskaus "Kunst der Zwischentöne", seine dynamischen Abstufungen und Tempo-Nuancen loten die Kompositionen tiefgründig aus.

Hatten seine frühen Schallplatteneinspielungen größere stimmliche Leichtigkeit, besonders in Forte-Passagen, und mehr Spontaneität, so wirkt sein Stil heute reflektierter, abgeklärter. Distanzierter wohl auch, aber nicht kühl – vielmehr mit präziser, kalkulierter Emotionalität.

Im Bestreben, den Text und seine Ausdeutung nicht im lyrischen Einerlei untergehen zu lassen, bediente sich Dieskau immer schon starker Mittel. Vom veritablen Schrei bis zur tonlosen Deklamation, wo dem Gesang jede Stimmfärbung ausgewaschen ist. Hier liegen faszinierende Eindrücke und Überinterpretation an der Grenze zum Manierierten dicht beieinander.

Demus und Dieskau – das ist auch eine Angelegenheit eindringlichster Atmosphäre, einer gelösten und entspannenden zwar, die aber den Hörer umso mehr in ihren Bann schlägt.

Der warme Ton, in dem Demus das Piano singen läßt – weicher und im herkömmlichen Sinn "schöner", als Dieskau selbst sich das zubilligt – trifft genau das Schumannsche Timbre. Er geht subtil auf den Sänger ein, trägt ihn, und nicht wenig an Inspiration, so scheint es, geht hier vom Begleiter aus.

Während der beinahe halbstündigen Ovationen, mit denen sich das Wuppertaler Publikum einmal mehr und nachdrücklich als das seine darstellte, dankte Dieskau mit nicht weniger als fünf Zugaben.

Peter Berger

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