Zur Oper am 12. Juli 1975 in München


Münchner Merkur, 14. Juli 1975

Münchner Opernfestspiele: "Capriccio" und "Falstaff"

"Sein Brüllen und Toben verschlingt die Stimmen"

Kaum angegraut: Rudolf Hartmanns nunmehr fünf Jahre alte "Capriccio"-Inszenierung. Diese "Oper über die Oper" hat allerdings ihre Tücken. Läßt da doch der textdichtende Dirigent Clemens Krauss den Theaterdirektor La Roche seufzen: "Das unheilbare Gebrechen unserer Opern ist der betäubende Lärm des Orchesters. Sein Brüllen und Toben verschlingt die Stimmen."

Leider muß der Dirigent des Abends, Ferdinand Leitner, diesen Wink mit dem Zaunpfahl nicht vernommen haben, denn er ging bis zum Schluß nicht ab von seiner recht derb dröhnenden Begleitung, die den Sängern bisweilen das Äußerste an Aufwand abverlangte. [...]

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Als im letzten Jahr die Opernfestspiele mit Verdis "Falstaff" eröffnet wurden, gab es nicht nur Zustimmung. Rennerts Inszenierung pendelt ein wenig zwischen den Stilen, Sawallisch am Pult zeigte sich rhythmisch nicht immer entschlossen genug - allein Dietrich Fischer-Dieskaus Falstaff war über jeden Tadel erhaben.

Auch diesmal ist er der Star. Wie er Charme und Schlitzohrigkeit miteinander verkumpelt, wie er den eigentlich doch recht miesen Charakter des Falstaff mit Witz und Distanz andeutet, aber nie unterschlägt, wie er dabei musikalisch genauestens, mit einer unglaublichen Parlando-Meisterschaft, artikuliert - das alles weist ihn wieder einmal als eine Ausnahme-Erscheinung unter den Sängerpersönlichkeiten unserer Zeit aus.

Neben ihm haben es die anderen schwer. Allein Thomas Tipton als der in seiner Eifersucht köstliche Ford vermag da voll mitzuhalten. Köstliche Typen waren Gerhard Stolze (Bardolf), Kieth Engen (Pistol), Friedrich Lenz (Dr. Cajus), Reri Grist (Ännchen) und Claes-Haakan Ahnsjö (Fenton) sorgten überzeugend für zarte Momente.

Ein wenig enttäuschend die wahren Sieger in diesem Possenspiel um Sir John: die Damen Alice Ford (Leonore Kirschstein), Meg Page (Hertha Töpper) und Quickly (Carol Smith). Da fehlte jeder Pfeffer und wie Miß Quickly ihr "Reverenza" verschenkte, war schon fast ein Frevel.

Sawallisch heizte vom Pult her mächtig ein. Den Ensembles hätte man ein wenig mehr glitzernde Perfektion gewünscht, aber die gute Laune auf der Bühne griff recht bald auch aufs Orchester über. Nach der souverän bewältigten kniffeligen Schlußfuge gab es viel Beifall - vor allem für Fischer-Dieskau, aber auch für Sawallisch und Rennert. Buhs wurden keine geortet.

Volker Boser

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     tz, München, 14. Juli 1975     

Leckerbissen aus den Sänger-Kehlen

Opernfestspiele: "Capriccio" und "Falstaff"

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Zu einem Genuß ohne Reue gestaltete sich der samstägliche "Falstaff" mit dem Triumvirat Fischer-Dieskau, Rennert, Sawallisch in der Staatsoper, das für diesmal - und vom ersten Aufgehen des Vorhangs an - eine Sternstunde ansteuerte.

Wo gibt es weltweit Vergleichbares zu hören und zu sehen? In erster Linie zu nennen Fischer-Dieskaus brillante - und mit Recht selbstverliebte - Stimmparade, sein genüßlich kalkulierter Spielwitz, die phänomenale Ökonomie im Setzen seiner Pointen. Völlig d’accord mit ihm und sprühend vor deftiger (stets perfekt kontrollierter) Musizierfreude Wolfgang Sawallisch und das blendend disponierte Staatsorchester.

Das von Rennert entzückend - und leicht englisch-trocken - in quirlige Bewegung gesetzte Szenarium zeigte die Premierenbesetzung in gesteigerter Form: Thomas Tiptons spiel- und gesangsopulenten Ford, das schnurrige Gaunerpärchen Gerhard Stolze, Kieth Engen; Friedrich Lenz’ stimmträchtigen Dr. Cajus - und als Augen- und Ohrenweide das Frauentrio Leonore Kirschstein, Hertha Töpper und Carol Smith. Die von Verdi rührend-scheu dargebotenen lyrischen Leckerbissen kamen aus der Zwitscherkehle Reri Grists und von C.H. Ahnsjö, der seine Arietta bezaubernd sang.

Elisabeth Lindermeier

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