Zum Liederabend am 9. Mai 1975 in Berlin


    

     Der Tagesspiegel, Berlin, 11. Mai 1975     

Lied der Romantik

Dietrich Fischer-Dieskau in der Philharmonie

     

Dieser Liederabend in der Philharmonie mit Liedern nach Gedichten Joseph von Eichendorffs war gewiß ein Sieg der prägnanten Stimmungskunst des schlesischen Edelmannes, einer auch des Sängers Fischer-Dieskau, weniger indes einer der Musik. Denn es zeigte sich an diesem Abend, der mit kaum unterdrückter enzyklopädischer Leidenschaft sechs Komponisten und ihre Eichendorff-Lieder vorstellte, daß die Musik des 19. Jahrhunderts sich schwer tat, die im Augenblick umschlagenden Bilder der Dichtungen zu ergreifen oder gar zu transponieren. Mendelssohns, Schumanns, Wolfs und vor allem Pfitzners Lieder waren auf eine bedenkenswerte Weise konventionell und bisweilen ungelenk. Das Romantisch-Ab- gründige dieser im Volkston sich aussprechenden Bilder wurde von den Musikern kaum getroffen. Pfitzners "In Danzig", Reinhard Schwarz-Schillings "Marienlied" allein erreichten jene Konzentration des kompositorischen Nachbildens, die uns heute noch neben dem historischen Interesse unmittelbar zu berühren vermag.

Dietrich Fischer-Dieskau indes zeigte sich an diesem philharmonischen Abend durchaus auf der Höhe seiner Kunst. Faszinierend die Selbstverständlichkeit und zugleich die Eindringlichkeit, mit der die Lieder dargeboten wurden. Der Kothurn des Singens, die Distanz zwischen Sänger und Publikum schien aufgehoben. Mit zur Kommunikation ermunternder Gelassenheit oder Heiterkeit, aber auch mit allem Ernst ließ Fischer-Dieskau die romantische Botschaft für sich sprechen, und das Auditorium ließ sich spürbar verführen von den Bildern der Nacht, den fahlen Blättern und dem Herzen, das bricht. Sinnlichkeit und Frömmigkeit als Konflikt entdeckte Fischer-Dieskau in Eichendorffs Novelle "Das Marmorbild", wie er in einer Programmnotiz schreibt. In Fischer-Dieskaus Gesang aber schien diese Polarität aufgehoben, versöhnt und verklärt gleichsam zogen die romantischen Gesänge einen philharmonischen Abend lang ihre sehnsüchtige Bahn. Sehr herzlicher _Beifall für den großen Sänger und den umsichtig am Klavier akkompagnierenden Tamas Vasary.

Wolfgang Burde

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     Berliner Morgenpost, 11. Mai 1975     

Fest des Gesangs

   

Ein Festival für Freunde des Liedgesangs hebt jedesmal an, wenn Dietrich Fischer-Dieskau und Tamas Vasary sich zu einem Liederabend verbünden.

Die Rechnung, ein hervorragender Sänger und ein ausgezeichneter Pianist ergeben zwangsläufig große Musik, muß keineswegs immer aufgehen. Beim Gespann Fischer-Dieskau/Vasary ist die Summe tatsächlich ein Stück Vollkommenheit. Um so erfreulicher, festzustellen, daß sich beide in einem ganz auf Eichendorff-Texte ausgerichteten Abend in der Philharmonie mit Erfolg jedem Anflug äußerer Routine zu entziehen wußten.

Eine echte Bereicherung war es auch, daß neben den bekannten Eichendorff-Liedern von Mendelssohn, Schumann, Pfitzner, und Hugo Wolf weniger bekannte Eichendorff-Vertonungen im Programm waren.

Neben zwei Liedern von Bruno Walter waren es vor allem drei Lieder von Reinhard Schwarz-Schilling, die der Poesie der Texte voll gerecht wurden.

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     Spandauer Volksblatt, Berlin-West, 11. Mai 1975     

Romantische Lieder

Dietrich Fischer-Dieskau, der nach langer Pause in diesen Wochen mehrfach in seiner Heimatstadt zu hören ist, hatte auf das Programm seines neuen Liederabends in der Philharmonie ausschließlich Eichendorff-Vertonungen gesetzt. Das rechtfertigte sich von selbst durch den außergewöhnlichen Rang, den der einfachste und sanglichste aller romantischen Lyriker in der Literatur- und Geistesgeschichte einnimmt.

Eichendorffs Schlichtheit ist, wie man oft bemerkt hat, durchaus unergründlicher Art; wenn einer Goethes merkwürdiger Bestimmung genügte, für den Dichter werde sich "Wasser ballen", dann er. Das vielfach sich brechende Spektrum, das entdeckt werden kann, haben die Liedrmeister in Tönen einzufangen versucht.

Mendelssohn Bartholdy filterte aus den Gedichten vielleicht am wörtlichsten "Romantik", in der verhaltenen Ballade vom "Waldschloß", mit den hüpfenden Rhythmen eines Ständchens im "Pagenlied". Voll am Klavier instrumentierend, scharf und zuweilen skurril charakterisierend (auch sich selber): die Lieder von Hans Pfitzner. Das stille Weh der Musikanten- und Nachtgedichte wurde in psychologischer Komplexheit von Hugo Wolf beschworen.

Erfreulich, daß Fischer-Dieskau mit Bruno Walter und Reinhard Schwarz-Schilling auch zwei gebürtige Berliner zu Wort kommen ließ. Ihre humoristischen Vertonungen ergaben einen weiteren Aspekt und vertraten sozusagen das Scherzo im Verlauf des Abends. Die Krone der Eichendorff-Vertonungen aber gebührt Robert Schumann, der das Geheimnis der Eichendorffschen Einfachheit wie kein zweiter in die Musik hinübernahm.

Fischer-Dieskau kann es sich dabei leisten, das populäre "Es war, als hätt’ der Himmel" erst als allerletzte Zugabe zu bringen. Daß seine wunderbar wohllautende Stimme der computerhaften Perfektion abgesagt hat (oder nicht mehr ganz mächtig ist), bedeutet dafür noch einen Vorteil zusätzlich. In die Begeisterung der gut besetzten Philharmonie wurde sehr zu Recht der sensible Pianist Tamas Vasary einbezogen.

Hans-Jörg von Jena

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