Zum Konzert am 24. Januar 1974 in München


    

     Süddeutsche Zeitung, 26./27. Januar 1974     

Französische Seligpreisungen

César Francks "Les Béatitudes" im Münchner Herkulessaal

     

Chorwerke mit großem Aufwand sind eine teure Sache, nur wenige Konzertunternehmen können sich ihre Aufführung leisten. Der Rundfunk kann es und er tut es. [...] mit jenem Werk [...] das jetzt im 7. Rundfunk-Symphoniekonzert unter Rafael Kubelik zur Aufführung kam: "Les Béatitudes" von César Franck. Der Rundfunkchor (Einstudierung: Heinz Mende) sang Seite an Seite mit dem Chor des Französischen Rundfunks (Einstudierung: Marcel Couraud), ebenso wie die acht Solisten, in französischer Sprache jenen Text, den die dichtende Dilettantin Joséphine Blanche Colomb um das Kernstück der Seligpreisungen aus der Bergpredigt Christi in Verse gebracht hat; [...]

Gleichwohl, das Werk und die Aufführung hinterließen im Herkulessaal einen starken, sich in ovationsartigem Beifall kundgebenden Eindruck. Kubelik errichtete eine große Klangarchitektur, an der Chor und Orchester gleichermaßen Anteil hatten, ging auch dynamisch in gewaltige Dimensionen (die der Region des oft verlangten dreifachen Pianissimo kaum Raum gaben), und war sich in bekennerischer Intensität mit dem Komponisten durchaus einig. Dem Solistenensemble gebrach es trotz eines imponierenden Aufgebots erster Namen doch etwas an Homogenität, die dramatischen Stimmen überwogen, und hätte Dietrich Fischer-Dieskau die biblischen Seligpreisungen nicht ganz herrlich mit verkündendem Nachdruck und doch ohne alle Emphase gesungen, so wüßte man kaum, wie sich das lyrische Element solistisch in diesem Oratorium artikuliert. Die dunkle Sopranistin Jessye Norman mit dem hellen Timbre, Brigitte Fassbaender, Birgit Finnilä, Kimmo Lappalainen und Karl-Christian Kohn brachten leuchtende Farben in das Klangbild, das René Kollo leider manchmal durch unnötiges heldentenorales Forcieren fast aus dem Gleichgewicht brachte. Er hat doch so prächtiges Material, daß er sich gar nicht "mit Gewalt" durchzusetzen braucht.

K. H. Ruppel

__________________________________

   

     Abendzeitung, München, 26. Januar 1974     

César Francks "Seligpreisungen" im Herkulessaal

Zwischen Himmel und Hölle

   

Herkulessaal: Mit einer erstklassigen Sängergarnitur (Fassbaender, Norman, Kollo, Fischer-Dieskau), dem Symphonieorchester und Chor des BR sowie dem Chor des ORTF Paris führte Rafael Kubelik das Oratorium "Die Seligpreisungen" ("Les Béatitudes") von César Franck auf.

Ein sinfonisches Gemälde aus philosophischer Religion, musikalischem Stimmungswechsel zwischen Himmel und Hölle, voll flammender Gefühle. Die blendenden Schätze dieses achtteiligen und zweiundeinhalb Stunden dauernden Oratoriums liegen in der Instrumentierung und in der kompositorischen Genialität. Das Erhebende, Tiefgründige und Pathetische wurde von Kubelik deutlich unterstrichen. Obwohl "Die Seligpreisungen" oft eine dramatische Spannung vermissen lassen und nur die Regungen der Seele widerspiegeln, kam keine Langeweile auf. Kubelik dirigierte mit großer Übersicht und romantisch-zwingendem Konzept.

Die Sänger boten mit ihren Namen und Stimmen höchste Befriedigung. Dietrich Fischer-Dieskau sang kraftvoll und hielt wunderbar eine gleichmäßige Linie seiner Stimmintensität ein. Weich und poetisch gab sich René Kollo, klangprofund Jessye Norman. Feingefühl und Stilreinheit brachten Brigitte Fassbaender und Birgit Finnilä. Zwischen finsterer Dämonität und einer prophetenhaften "Stimme von oben" schwankten die beiden Bassisten Raffaele Arié und Karl-Christian Kohn. Einen unbekümmerten Spielsington blendete der Tenor Kimmo Lappalainen in seinen Part ein, und für die Krönung der "Seligpreisungen" sorgte der wohlpräparierte Chor.

Dieses umfassende Musikmonument löste mit seiner expressionistischen Vielfalt Emotionen aus, und das Publikum bereitete Rafael Kubelik und den Solisten frenetische Ovationen, wie man sie sonst nur in Bayreuth erleben kann.

Thomas Veszelits

__________________________________

   

     Bayern-Kurier, 16. Februar 1974     

Aufwendige Seligpreisung

Ein kaum bekanntes Oratorium von César Franck

   

Die Oratorienliteratur ist nicht gerade sehr umfangreich. Trotzdem gibt es Werke, die kaum je zur Aufführung gelangen. Zu ihnen gehört "Les Béatitudes", die Seligpreisungen, von César Franck. Dabei dürfte weniger die noch immer strittige Frage der Qualität von Bedeutung sein, sondern die Quantitätsprobleme sind es, die die Aufführungsmöglichkeiten so stark beschränken: "Les Béatitudes" verlangen ein Riesenorchester und einen ebensolchen Chor. Das Orchester konnte der Bayerische Rundfunk auf die Beine stellen, als zweiten Chor holte man den des Französischen Rundfunks aus Paris zur Hilfe, der (im Herkulessaal der Münchner Residenz) vor allem auch praktische Vertrautheit mit Francks Musik und der ihr angemessenen Klangvorstellung miteinbrachte. Und so trugen die Gäste, vor allem die so klar ansetzenden französischen Soprane und Tenöre, wesentlich dazu bei, daß die Aufführung an beiden Abenden zu einem großen Erfolg wurde.

Wie fast alle Komponisten des 19. Jahrhunderts wird Franck, da ein Zeitgenosse Wagners, vor allem an diesem gemessen, mit Akribie den Einflüssen des Deutschen im Werk des Franzosen nachgespürt. Die für Franck so bezeichnende Chromatik, sein Spiel der Enharmonik verführen zweifellos besonders dazu. Doch scheint vieles von dem, was man immer Wagners Konto zugut schreiben möchte, ganz allgemein wesentliches Element überhaupt der Musik des 19. Jahrhunderts zu sein. Sowohl Francks Vorgänger Berlioz wie der fast gleichaltrige Bruckner, der sozusagen sein deutsches Pendant ist, zeigen in ihren Werken den gleichen Zug zum Gewaltigen, rauschhaft Kolossalischen, Mystischen.

Von 1869 bis 1879 komponierte Franck an "Les Béatitudes". In diesem die Seligpreisungen der Bergpredigt interpretierenden Oratorium schwelgt Franck in Klangmassen und Effekten, in einer Fülle von dynamischen Abstufungen, in Donner- und Flötentönen; die Geigen schwirren, das Blech dröhnt, alle Register werden gezogen. Und natürlich bleibt auch die für die Zeit so typische Weitschweifigkeit nicht aus. Ständige Wiederholungen führen zur Abstumpfung gegenüber den Reizen, die Steigerungsversuche nutzen sich ab. Der Text (Joséphine Blanche Colomb) ist schauerlich banal - wohl dem, der kein Französisch kann! -, der innere Gehalt jedoch ist es ganz und gar nicht, und der ist es schließlich, dem Franck Ausdruck zu verleihen suchte. Weitgehend gelingt ihm das, vor allem in den Chören, die die trauernde, aufgewiegelte oder ergriffene Menschheit repräsentieren. Und es gelingt vor allem in einer so hervorragenden Aufführung wie der unter Rafael Kubelik, die eisern allem Sentimentalen ausweicht, ohne sich dem Pathos zu versagen. Nur wenn der Böse komödienhaft tirvial wie im Weihnachtsmärchen daherkommt und gerührt durch das Leid der Mater dolorosa zerknirscht beiseite tritt - ist dagegen kein Interpretenkraut und keine noch so nachtschwarze Baßstimme wie die von Raffaele Arié gewachsen. Acht Solisten verlangte das Stück in zum Teil sehr unangenehmen und wenig dankbaren Partien. Große Namen waren aufgeboten, aber sie bildeten kein homogenes Ensemble, und nur zwei wurden ihrer Aufgabe wirklich gerecht: Brigitte Fassbaender, die, ganz ihrem Organ vertrauend, herrlich und einfach sang, und Dietrich Fischer-Dieskau, der sich hütete, nur ein Gran zuviel zu geben, sich dem Rausch absolut versagte.

A. Brinkmann

__________________________________

   

     Bayerische Staatszeitung, Bayrischer Staatsanzeiger, 1. Februar 1974     

Oratorische Entdeckung

César Francks "Seligpreisungen"

   

Rafael Kubeliks Einstudierung von César Francks großem Oratorium "Les Béatitudes" im letzten Rundfunk-Symphoniekonzert hatte den Rang eines besonderen musikalischen Ereignisses. Es war eine dankenswerte künstlerische Tat, das reiche, kostbare chorische Hauptwerk des französischen Meisters der Vergessenheit zu entreißen (die letzte Münchner Aufführung liegt über 40 Jahre zurück). In den überkommenen Beurteilungen der 1879 vollendeten Komposition finden sich neben bewundernden Worten für ihre meisterliche Faktur und ausdrucksedle Tonsprache meist auch Klagen über mangelnde musikalische Kontraste und eine gewisse Monotonie. Von solchen Gefahren war in dieser neuen Aufführung, nicht zuletzt dank Kubeliks expressiv hochgespannter, alle Möglichkleiten klanglich und dramatisch kontrastierender Wirkungen wahrnehmender Interpretation nichts zu spüren. Mit stetig wachsender innerer Anteilnahme, immer wieder (wenn auch nicht in gleichem Maße bei allen Teilen) angerührt von der schöpferischen Phantasie, der formgestaltenden Kraft, der vokalen Satzkunst und der redemächtigen Melodik und Harmonik César Francks erlebte man die Ausdruckswahrheit und den noblen Wohllaut der "Béatitudes". Als Höhepunkte traten neben vielen Chorsätzen und solistischen Teilen die rein instrumentalen Partien (z.B. in der 4. Seligpreisung) hervor sowie, in ihrer jeweiligen Gesamtentwicklung, die drei letzten Abschnitte des Werks. Die Aufführung wurde mit ungewöhnlicher Begeisterung aufgenommen; sie galt gewiß auch dem Komponisten, aber nicht minder den Interpreten: dem Dirigenten, dem hervorragend schön singenden Chor und der Elite meisterlicher Solisten: Jessye Norman, Brigitte Fassbaender (Mater dolorosa), Birgit Finnilä, Dietrich Fischer-Dieskau (Christus), Raffaele Arié (Satan), René Kollo, Karl-Christian Kohn und Kimmo Lappalainen.

aw

__________________________________

  

     Schwäbische Zeitung, Leutkirch 28. Januar 1974     

Ein französischer Bruckner

César Francks "Seligpreisungen" unter Kubelik in München

    

Der Bayerische Rundfunk hat in seinem 7. Symphoniekonzert das selten gehörte Mammutwerk "Die Seligpreisungen" ("Les Béatitudes") von César Franck mit internationalen Solisten und den großen Chören des Bayerischen und Französischen Rundfunks im Münchner Herkulessaal aufgeführt.

Diese Riesenchöre in ihrer Vielfarbigkeit und mystischen Stimmung, die Soli und die solistischen Ensembles sind Ausbrüche eines im Grunde stillen Menschen, der das Religiöse dramatisch effektlos und innig darstellen wollte. Der Spätromantiker Franck ist hier ein französischer Bruckner, ein musikalischer Wegbereiter für das Dreigestirn Gabriel Fauré - Claude Debussy - Maurice Ravel. Romain Rolland lobte César Francks Tugend und Wahrhaftigkeit, und er sei mit Bach "der einzige Musiker, der wirklich Christus geschaut hat, und der ihn sichtbar machte."

Die Aufführung unter Rafael Kubelik wurde zu einem Ereignis. Der Rundfunk hatte eine Reihe exzellenter Solisten aufgeboten, Dietrich Fischer-Dieskau für die Stimme Christi, der die Worte aus der Bergpredigt schlicht und verinnerlicht gestaltete; die farbige Konzertsopranistin Jessye Norman, 1968 als Zweiundzwanzigjährige erste Preisträgerin im Münchner Rundfunk-Musikwettbewerb, heute mit ihrer dunkel-voluminösen, glockenreinen Stimme ein Weltstar; die Skandinavierin Birgit Finnilä mit einer sehr tiefen Altstimme; René Kollo in bester Verfassung mit seinem hellen, heldenhaft gewachsenen Tenor; Brigitte Fassbaender, der neue Star der Metropolitan Opera - sie singt dort im März in einem längeren Gastspiel den "Rosenkavalier"-Oktavian - wohl an diesem Abend am eindrucksvollsten von allen anderen Solisten in der hymnisch gestalteten Mater dolorosa-Darstellung; der Bulgare Raffaele Arié von der Mailänder Scala mit der Stimme des Satans im zweiten Teil des Werks, in seiner dramatischen Ausdrucksart an den großen Schaljapin erinnernd; dazu Karl Christian Kohn mit seinem Baß, dessen goldsamtenes Timbre immer wieder faszinierend auf den Hörer wirkt; und der Tenor Kimmo Lappalainen, ebenfalls hervorragend in einem kleineren Part. Der Chor des Französischen Rundfunks gab den Münchner Kollegen viele künstlerische Impulse, so daß die beiden großen Chöre zusammen ein einheitliches, grandioses Klangbild schufen.

Eckart Fricke


   

     "Oper und Konzert", München, 3/1974     

Herkulessaal

7. Konzert des Rundfunk-Symphonieorchesters

    

"Ein Werk für alle Zeiten" nannte César Franck sein Oratorium "Les Béatitudes" ("Die Seligpreisungen"), das erst nach dem Tode des Komponisten seine Uraufführung (1891) erlebte und sich in der Musikwelt nicht der Bekanntheit und Wertschätzung erfreut, die sich sein Schöpfer erhofft hatte. [...]

Die Aufführung hatte Glut, Vehemenz, Leidenschaftlichkeit, Hymnik und opulente Klangpracht, aber auch sanftes Schimmern und Innerlichkeit. [...]

Für die acht Vokalpartien war eine exquisite Besetzung aufgeboten worden. Dietrich Fischer-Dieskau gab den Christusworten aus der Bergpredigt und aus Madame Colombs rhetorischem Schatzkästlein balsamische Stimmschönheit, milde Güte, prophetisch mahnende Eindringlichkeit und Entrücktheit der Deklamation. Jessye Normans voluminöser, fülliger Sopran entfaltete herrliches Leuchten, war aber in der Höhe nicht ganz frei von Schärfen und nicht immer ganz intonationsrein. Emphatisch sang Brigitte Fassbaender die Mezzosopran-, pastos Birgit Finnilä die Altpartie. René Kollos Tenor bestach durch heldischen Glanz und lyrisches Espressivo. Etwas weniger Ausdrucksintensität brachte der über einen schlanken, kernigen, recht schmalen Spieltenor verfügende Kimmo Lappalainen (von der Staatsoper Stuttgart) auf. Rafael Arié hatte zu wenig stimmlichen Nachdruck und zu wenig dämonische Kraft für die harmlos bleibenden Tiraden des Höllenfürsten. Satte Baß-Sonorität steuerte der für Andrew Foldi einspringende Karl Christian Kohn bei.

Die in französischer Sprache gebotene Aufführung fand begeisterten Beifall des (bis zur Pause überfüllten, dann nur noch gut besetzten) Hauses.

Claus R. Schuhmann

zurück zur Übersicht 1974
zurück zur Übersicht Kalendarium