Zum Konzert am 30. August 1973 in Luzern 


   

     Die Tat, Zürich, 4. September 1973     

Rossinis Petite Messe

     

Petite Messe Solennelle - schon dieser Titel ist eine Untertreibung; man kann ihn allenfalls für die Besetzung gelten lassen, die sich Rossini für zwölf Sänger, zwei Klaviere und Harmonium dachte. Der Ausdehnung nach ist es eine große Messe von anderthalbstündiger Dauer, die Rossini in seinem einundsiebzigsten Lebensjahr innert zwei Monaten komponierte, "le dernier péché mortel de ma vieillesse". Und er schrieb unter die fertige Partitur mit echter Bescheidenheit ohne Ironie: "Bon Dieu, la voilà terminée cette pauvre Messe. Est-ce bien de la musique sacrée que je viens de faire ou bien de la sacrée musique ?J’étais né pour l’opéra buffa, tu le sais bien ! Peu de science, un peu de cœur, tout est là. Sois donc béni et accorde-moi le Paradis. »

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Die von Wolfgang Sawallisch geleitete Aufführung im Konzert am 30. August entsprach im solistischen Teil der kürzlich erschienenen Schallplatten-Einspielung, mit einem erstklassigen Solistenquartett - Kari Lövaas mit leichtschwebendem, leuchtendem Sopran, Brigitte Fassbaender mit mühelos und ruhig in die Tiefe reichendem Alt, Peter Schreier (Tenor) und Dietrich Fischer-Dieskau (Baß), zu zweit und zu dritt vorzüglich zusammenpassend, am Klavier Wolfgang Sawallisch und Hans Ludwig Hirsch, am Harmonium Reinhard Raffalt. Der Chor bestand aus den von Franz Xaver Jans einstudierten Luzerner Vokalsolisten, einem sechzehnköpfigen Ensemble, das in den problem- und mühelos klingenden Chorsätzen eine hervorragende Leistung bot. Die "Petite Messe", die erstklassige Solisten und Chorsänger erfordert, dürfte vermutlich in einem intimeren Raum als es der Kunsthaussaal ist, nicht nur klanglich, sondern auch optisch eine eindringlichere Wirkung ausüben.

ohr

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     Tages Anzeiger, Zürich, 4. September 1973     

Internationale Musik-Festwochen Luzern

Drei Uraufführungen und Herbert von Karajan

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Ebenfalls in die Bereiche der Rarität, wenn auch auf ganz anderem Felde, wiesen die Luzerner Vokalsolisten im Chorkonzert. Die Petite Messe Solennelle straft alle jene Behauptungen Lügen, wonach Gioacchino Rossini in seinen späten Jahren nichts mehr komponiert habe. Der Meister der "opera buffa" spürte zwar, daß seine Zeit vorüber war - was ihn keineswegs hinderte, gleichsam für den Eigengebrauch allerlei instrumentale und vokale Kammermusik zu verfassen, darunter als auslandendstes Zeugnis eben diese Messe. Es ist ein launiges Meisterwerklein, unbekümmert und erfrischend zwischen altem, polyphonem Kirchenstil und melossüchtigem Belcanto pendelnd. Die Vokalsolisten waren von F.X. Jans vorbildlich vorbereitet worden. Nur anfangs verrieten sie einige Mühe, sich an Wolfgang Sawallischs Zeichengebung zu gewöhnen. Der prominente Dirigent, der auf sinnenhafte Geradlinigkeit zielte, betätigte zugleich den Part des 1. Klaviers; die übrigen Mitspieler (2. Klavier, Harmonium "zur religiösen Einfärbung") hatte er wie das kaum ganz ausgeglichene Solistenquartett (Brigitte Fassbaender neben Kari Lövaas, Peter Schreier und Dietrich Fischer-Dieskau) aus Deutschland mitgebracht.

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Autor unbekannt

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