Zur Oper am 19. Juli 1973 in München


    

     Neue Zürcher Zeitung, 28. Juli 1973

Münchner Opernfestspiele 1973

Strauss-Reprisen I

     

Unter den fünf in den Münchner Festspielzyklus aufgenommenen Opern von Richard Strauss befand sich in diesem Jahr keine Neuinszenierung, doch sind zwei Werke, "Elektra" und "Die Frau ohne Schatten", in der vergangenen Spielzeit neu herausgebracht worden, was erlaubte, sie nach längerer Pause in den Festspielplan einzubeziehen. Hier soll von drei Aufführungen die Rede sein: von denen der beiden in der Lebensmitte geschaffenen Werke - dem "Rosenkavalier" und der "Frau ohne Schatten" - und von der des späten "Capriccio", in welchem Strauss die Oper selbst, das Problem von Wort und Ton, spielerisch als Thema gewählt hat.

"Die Frau ohne Schatten"

Das Hauptinteresse galt diesmal zweifellos der am seltensten zu hörenden "Frau ohne Schatten", der schwierigsten und an Gehalten reichsten aller Straussschen Opernschöpfungen, worin dem von den Hauptfiguren gebildeten "magischen Quadrat" und der schicksalvollen Verkettung derselben hohe sittliche Bedeutung zukommt. Die vielfältigen Beziehungen erscheinen in der Dichtung und in der Musik, von deren beiden ersten Akten Hofmannsthal an einen Freund schrieb, sie bildeten "eine Synthese des Besten und Wahrsten, das er (Strauss) zu geben" habe, eindeutig fixiert, in der szenischen Gestaltung dagegen sind sie jedesmal neu herzustellen und sichtbar zu machen, gibt es in dieser Oper doch "kein Wort, keine Gebärde, keine Situation ohne strengste Bezogenheit, alles (ist) abgewogenen Werts, Gewichts, Valeurs" (Hofmannsthal an Raoul Auernheimer). Den gewaltigen Anforderungen an den Dirigenten, die Solisten und an das Orchester entsprechen die an den Regisseur und den Bühnenbildner, übertreffen jene sogar womöglich noch.

Die Münchner Aufführung wird den außerordentlichen Ansprüchen durchaus gerecht, erreicht aber nicht die Höhe und Eindringlichkeit der Pariser Wiedergabe, von der an dieser Stelle im Oktober des letzten Jahres eingehend berichtet wurde. Die seelische Erfülltheit und die dramatische Spannung, die man dort unter Karl Böhms befeuernder Führung erlebte, stellt sich in München nicht ein. Wolfgang Sawallischs Interpretation wirkt distanzierter, sie ist wohldurchdacht in jedem Augenblick und gehört, trotz einzelnen mehr grobschlächtig als wuchtig gebotenen Höhepunkten, zu seinen überzeugendsten Realisierungen Straussscher Opernpartituren. Er gewinnt dem Münchner Orchester oftmals Klangwirkungen ab, die man von diesem nicht durchwegs gewohnt war. Während die Streicher an Weichheit, Glanz und Ausdrucksfülle sehr spürbar gewonnen haben, scheint es den Holzbläsern nicht immer leichtzufallen, ein wirkliches Pianissimo und insbesondere das bei Strauss so eminent wichtige Fortepiano zu erzielen, weshalb die Solisten es oft (gerade an wichtigen Stellen) schwer hatten, sich gegen das Orchester zu behaupten. Dies fiel um so mehr ins Gewicht, als - mit der rühmenswerten Ausnahme von Fischer-Dieskau - die Sänger der Textverständlichkeit nicht genügende Aufmerksamkeit zuwenden.

Das Stimmenquartett ist mit Ingrid Bjoner (Kaiserin), Hildegard Hillebrecht (Färberin), Dietrich Fischer-Dieskau (Barak) und Hans Hopf (Kaiser) ungleichwertig bedacht, - um es präzis zu sagen: der Kaiser ist mit dem schweren, in Gesang und Darstellung gleich unbeweglichen Tenoristen nicht festspielmäßig besetzt. Ingrid Bjoner bleibt anfangs etwas indifferent, bis sie in der Traum- und namentlich in der Gerichtsszene des dritten Aktes stärker aus sich heraustreten kann. Das Sprunghafte, Launische der Färberin, die im Grund "reinen Herzens" ist, erscheint in Hildegard Hillebrechts Gestaltung der weitaus schwierigsten Partie voll beherrscht sowohl in den jähen Umschwüngen als in den Zwischentönen, und im Schlußakt kann sich ihre blühende Stimme prachtvoll entfalten. Dietrich Fischer-Dieskaus Barak ist eine Leistung allerhöchsten Ranges. Er formt die Gestalt des gutherzigen, aber in Dumpfheit neben seiner Frau lebenden Färbers dank seiner Fähigkeit tiefen Einfühlens in die aus Straussens Innerstem geborene Gestalt mit dem Einsatz unendlich differenzierter stimmlicher Ausdrucksstufungen aus, ohne daß sie dabei das geringste an Lebenswärme einbüßt. Die vier auf so vielfältige Weise eng miteinander verknüpften Figuren aus der bloßen Konstellation in ein dramatisches Spannungsfeld überzuführen, ist die Aufgabe der Amme, die von Astrid Varnay auf wahrhaft faszinierende Weise erfüllt wird, indem sie das mephistophelische Element der Figur zu unheimlicher Wirkung bringt.

Daß sich Oscar Fritz Schuh für die Münchner Inszenierung gewinnen ließ, ist erstaunlich, wenn man bedenkt, auf welch demonstrative Weise er bisher in weitem Bogen den Straussschen Opern aus dem Wege ging. Er hat sich mit der "Frau ohne Schatten" intelligent auseinandergesetzt, wie man es bei ihm erwarten darf. Vieles ist ihm gelungen, anderes wurde nur zum Teil erfüllt. Im ersten Akt ist er besonders bestrebt, die Erschütterung der Kaiserin durch das, was sich in der Färberhütte vor ihren Augen abspielt, deutlich werden zu lassen, trotz der äußerlich passiven Rolle, die ihr hier zugedacht ist. Wenn er dabei gelegentlich fast zu weit geht und wenn Einzelheiten in der Führung von Färberin und Amme - das Einhüllen jener in ein prächtiges Tuch zum Beispiel - allzu absichtlich wirken, so beeinträchtigt dies den Gesamteindruck kaum. Überzeugende Lösungen findet die Regie mit der wirksamen Hilfe des Bühnenbildners Jörg Zimmermann für den dritten Akt, dessen Aufbau sich sehr eindrucksvoll vollzieht. Zimmermann, der auch die Pariser Inszenierung ausstattete, hat für die Szenen in der "oberen Sphäre" wie dort eine Art mineralischer Zauberwelt geschaffen: für das von Kuppeln überwölbte Dach der kaiserlichen Gärten, für den Wald vor dem Falknerhaus, für die Traumvision der Kaiserin und für die Gewölbe im dritten Akt, aus welchen das äußerlich noch getrennte, aber innerlich eins gewordene Färberpaar zur Höhe aufbrechen darf, für das machtvoll-drohende Tor zur Geisterwelt, für die Gerichtsszene und schließlich für das einfach-schöne Schlußbild. Manches wirkt schwerer, lastender als in Paris, fügt sich jedoch zu einer in sich geschlossenen Zaubermärchenwelt.

Die Zaubereien, auf die Hofmannsthal so großes Gewicht legte - ein Brief an Max von Schillings sagt darüber alles Notwendige aus, scheint jedoch leider nicht der Beachtung wert befunden zu werden -, bleiben zwar nicht völlig ausgespart; die Fischlein, das Eingreifen höherer Gewalt, wenn Barak zum Todesschlag ausholt, wurden sichtbar, aber manches bleibt unbefriedigend, so vor allem die Pavillon-Vision im ersten Akt, und beim zweimaligen Erscheinen des Jüngling-Phantoms findet des Dichters genau vorgeschriebene Differenzierung keine Beachtung. Den Intentionen von Dichtung und Musik widerspricht auch das gemächliche Versinken der Färberhaus-Szenerie am Schluß des zweiten Aktes, denn hier müßte ein rasanter Zusammenbruch, ein von den Übermächten herbeigeführtes Elementarereignis anschaulich gemacht werden. Und einem erfahrenen und aufmerksamen Regisseur sollte eigentlich nicht passieren, daß es genau in dem Augenblick auf der Bühne (endlich) ganz hell wird, wenn Barak zu singen hat: "Es dunkelt, daß ich nicht sehe zur Arbeit..."

Als Vorzug der Münchner Aufführung muß das Aufmachen einiger (leider bereits eingebürgerter) Striche hervorgehoben werden, als krasse Unterlassungssünde dagegen das Weglassen des absolut unentbehrlichen Gesangs der Ungeborenen am Schluß des Werkes. Die beiden andern Kindergesänge aus der Höhe erklangen, durch Lautsprecher übertragen, häßlich verfremdet. - Daß Werk und Aufführung als Ganzes stärkste Eindrücke zeitigte, wurde durch die stürmischen und langanhaltenden Beifallskundgeben des ausverkauften Hauses bekräftigt.

-uh

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     Bayern-Kurier, München, 11. August 1973

Münchner Festspiele

Der Höhepunkt kam mit Debussy

Die längste Saison der Staatsoper ging zu Ende

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Auch die "Frau ohne Schatten" wurde rechtens weitgehend umjubelt - ob sich schwache Sänger (wie auch im zweiten "Giovanni") ausbuhen lassen müssen, sei dahingestellt. Zu einem Problem entwickelt sich Fischer-Dieskau: am besten war er als Färber in der "Frau ohne Schatten", doch als Graf in "Figaros Hochzeit" sprengte er mit zuviel Mache das Ensemble, und sein Festspiel-Liederabend mit französischer Kammermusik von Auric, Fauré, von Poulenc und Ravel mit Wolfgang Sawallisch am Flügel und Instrumentalisten des Bayerischen Staatsorchesters war so auf Witz und Charme und Pfiff gedrechselt und gedrillt, daß einem die Freude am Spaß auch vergehen konnte. Fischer-Dieskau, so will mir scheinen, kennt nur noch das Kalkül der Interpretation, hat jeden Rest Spontaneität eingebüßt; bewußte Perfektion ist ihm alles, manchem Zuhörer aber zu wenig.

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Müller / Brinkmann

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     Basler Nachrichten, 2. August 1973

Münchner Opernfestspiele

Fünfmal Richard Strauss

   

Richard Strauss war ein Münchner, und mochte die Isar-Metropole zu Lebzeiten des Komponisten auch nicht allzu eng mit dem Werk des "Rosenkavalier"-Meisters verbunden gewesen sein - heute werden seine Opern nirgendwo auf der Welt zyklisch so gepflegt wie in seiner Vaterstadt. Münchner Opernfestspiele ohne Richard Strauss sind gar nicht mehr denkbar.

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Problematischer stehen die Dinge um "Die Frau ohne Schatten". Ist schon das Libretto Hugo von Hofmannsthals von verwirrender Künstlichkeit und taumelt Richard Straussens Musik von einem Stil in den anderen, so tut Regisseur Oscar Fritz Schuh ein übriges, um für Unverständlichkeit dieser Strauss-Oper zu sorgen. Auch über die musikalische Leitung Wolfgang Sawallischs läßt sich nur mäßig Lobenswertes sagen. Daß die einzige Aufführung der "Frau ohne Schatten" während der Münchner Opernfestspiele dennoch ein Publikumserfolg wurde, ist Astrid Varnay als Amme und Dietrich Fischer-Dieskau als Barak zu danken.

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Hans Lehmann

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     Göppinger Zeitung, Datum unbekannt

Höhepunkte mit Richard Strauss

"Die Frau ohne Schatten" und "Capriccio" bei den Münchner Festspielen

   

Die Münchner Festspiele sind vorrangig auch Richard-Strauss-Festspiele.

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Vor allem zwei, sehr unterschiedliche Opern dieses Komponisten boten Höhepunkte des Festspielsommers, der sich ebenso durch seinen interessanten, vielseitigen Spielplan wie das fast durchwegs hohe Niveau der Darbietungen auszeichnete.

"Die Frau ohne Schatten" im Nationaltheater, eines der problematischsten und schwierigsten Werke der neueren Opernliteratur, hat in der Inszenierung durch Oscar Fritz Schuh, der Ausstattung von Jörg Zimmermann und der musikalischen Leitung Wolfgang Sawallischs (der allerdings gerade hier mehr Zustimmung verdient als bei den meisten seiner neueren Opern-Dirigate) nicht die Verwirklichung erfahren, die man sich vorstellen könnte. Aber allein von der Besetzung her ist soviel Faszination gegeben, daß man auf einer europäischen Bühne heute kaum eine so kompetente Wiedergabe antreffen wird. Um so unverständlicher, daß beträchtliche Teile des Publikums Hildegard Hillebrecht mit Ungnade aufnahmen. Denn sie singt und spielt des Färbers Weib mit darstellerischer Hingabe und musikalisch sehr überzeugend. Erklärlicher, doch nicht ganz entschuldbar ist die Art wie Hans Hopf angenommen wurde. Hier fragt sich allerdings, ob man, wenn schon nicht James King zur Verfügung stand, nicht ein glücklicheres Engagement für den Kaiser gefunden hätte. Ansonsten ist bis in die kleinsten Rollen die erste Münchner Garde aufgeboten: in Darstellung und Gesang voran Ingrid Bjoner (Kaiserin) und Astrid Varnay (Amme), von der musikalischen Intelligenz und Wirkung her natürlich auch Dietrich Fischer-Dieskau, der aber dem Färber im Spiel mehr Passivität zukommen läßt, als es selbst diese Rolle vorschreibt.

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E. Schremmer

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     "Oper und Konzert", München, 8/1973     

Nationaltheater

Die Frau ohne Schatten

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Die Besetzung dieser Aufführung darf man hervorragend nennen. Ingrid Bjoner ist für die Kaiserin prädestiniert. Man hört und staunt, daß eine so makellose Höhe möglich ist, daß eine Stimme so lang strahlkräftig und biegsam bleiben kann, daß sie die hingehuschten Koloraturen des ersten Bildes so leicht, die spätere Dramatik so kraftvoll bringen kann. Hans Hopf (Kaiser) glänzte im ersten Bild durch besonders schönen und temperamentvollen Gesang, war später etwas matter, aber immer noch sehr gut. Dietrich Fischer-Dieskau hat mit dem Färber Barak die dankbarste Aufgabe, die schönbsten, eingängigsten Gesänge zu singen, den sympathischen, menschlichsten Protagonisten zu gestalten. Wie er das macht, ist erstaunlich. Wie er geht unbd wie er sich reckt - er ist in jeder Bewegung ein Hüne und ein schwer arbeitender Mann zugleich. Sein schöner Bariton ist wunderbar in den Kantilenen, muß sich aber manchmal gegen die Orchesterfluten hörbar anstrengen. Hildegard Hillebrecht schien mir immer noch nervös von verschiedenen Kundrykritiken. Wenn sie in der Höhe manchmal eng singt, so ist das wohl mehr Sache der Nerven als der Stimmqualität. Es beeinträchtigt auch kaum ihre packende Darstellung der unbefriedigten, rastlosen Frau, die erst durch die Prüfung zu ihrem Mann findet. Astrid Varnay setzte ihre überlegene Darstellungskunst für die Amme ein. Sie hat ihr Publikum so in der Hand, daß niemand auf den Gedanken kommt, ihre - in aller Ehrfurcht sei’s gesagt - doch recht schneidenden Töne durch Buh zu quittieren, wie es ihren Kollegen Hopf und Hillebrecht ungerechterweise am Ende der Vorstellung erging (der Beifall war übrigens weitaus stärker).

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Helga Huber

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