Zur Oper am 16. Juli 1973 in München


    

     Münchner Merkur, 18. Juli 1973     

Münchner Festspiele

Warum ist Cherubin ständig in Eile?

     

In der flirrend schnellen "Figaro"-Ouvertüre hatte Wolfgang Sawallisch noch freies Verfügungsrecht über die Musik. Danach hieß es, über längere Strecken die Sänger energisch am Zügel zu halten: vor allem Stafford Dean, der nach seinem Münchner Leporello-Debüt in die Rolle des Figaro geschlüpft war, ein mit schwarzen Tönen kraftvoll aufbegehrender, aber auch rhythmisch egenwilliger Revoluzzer. Nach der nicht gerade pointiert gesungenen Cavatine fügte sich der Gast, von Sawallisch musikalisch gezähmt, dann gut angepaßt dem Stamm-Ensemble ein. Aber auch hier gab es mancherlei Kontaktschwierigkeiten mit dem Orchester.

Reri Grist, anfangs etwas nervös, fand sich natürlich schnell in ihre mit kapriziösem Charme ausgespielte Susannen-Rolle, Dietrich Fischer-Dieskau war, wie immer, vom ersten Ton an Herr seiner prekären Situation als ständig düpierter Graf, und Leonore Kirschstein steigerte sich in der zweiten Arie der Gräfin zu bestellter Kantilenenführung.

Warum aber wird Brigitte Fassbaender immer wieder gezwungen, ihre Cherubino-Arien im Prestissimo herunterzurasen? Gewiß: sie singt beide virtuos und ohne Verlust an Schönklang. Aber Mozart hat das eine Mal ein Allegro vivace vorgeschrieben und für die zweite Arie sogar ein Andante con moto verlangt. Ein Prestissimo ist da nicht nur sinnwidrig, sondern bringt auch das Orchester in die Verlegenheit, sich mit einer fade raschelnden Begleitung zu begnügen.

Verläßliche Stützen der Aufführung waren in den komischen Rollen gewohntermaßen Lilian Benningsen (Marzelline), Benno Kusche (Bartolo) und David Thaw (Basilio).

Als Ganzes genommen wurde trotz einzelner sängerischer Glanzleistungen das erwünschte Festspielniveau erst im Schlußakt erreicht.

Helmut Lohmüller

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     Bayern-Kurier, München, 4. August 1973     

Münchner Opernfestspiele

Repertoire im höchsten Glanz

Strauss, Wagner und der neubesetzte "Don Giovanni"

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Über "Figaros Hochzeit" ist zu berichten, daß der Figaro von Stafford Dean viel Subtiles, was die Inszenierung hat, nicht kannte oder konnte, wiewohl er routiniert seinen Part sang. Leonore Kirschstein ist als Erscheinung wie als Stimme keine Gräfin; ihren Typ müßte man ganz anders, schwerfällig, inszenieren, was ja auch zu vertreten wäre. Daß Fischer-Dieskau da leichtes Spiel hatte und sich als selbstgefälliger, peinlich souveräner Elegant in die Schanze warf, verwundert nicht. Trotz Reri Grist als Susanne geriet der "Figaro" schwach, zumal Sawallisch Tempi vorlegte, daß sogar der hinreißende Cherubin von Brigitte Fassbaender beinahe ins Stolpern gekommen wäre.

Brinkmann / Müller

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     Bayern-Kurier, München, 11. August 1973

Münchner Festspiele

Der Höhepunkt kam mit Debussy

Die längste Saison der Staatsoper ging zu Ende

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Auch die "Frau ohne Schatten" wurde rechtens weitgehend umjubelt - ob sich schwache Sänger (wie auch im zweiten "Giovanni") ausbuhen lassen müssen, sei dahingestellt. Zu einem Problem entwickelt sich Fischer-Dieskau: am besten war er als Färber in der "Frau ohne Schatten", doch als Graf in "Figaros Hochzeit" sprengte er mit zuviel Mache das Ensemble, und sein Festspiel-Liederabend mit französischer Kammermusik von Auric, Fauré, von Poulenc und Ravel mit Wolfgang Sawallisch am Flügel und Instrumentalisten des Bayerischen Staatsorchesters war so auf Witz und Charme und Pfiff gedrechselt und gedrillt, daß einem die Freude am Spaß auch vergehen konnte. Fischer-Dieskau, so will mir scheinen, kennt nur noch das Kalkül der Interpretation, hat jeden Rest Spontaneität eingebüßt; bewußte Perfektion ist ihm alles, manchem Zuhörer aber zu wenig.

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Müller / Brinkmann


    

     "Oper und Konzert", München 8/1973

Nationaltheater

Figaros Hochzeit

    

Unter Wolfgang Sawallisch wurde - wie eigentlich immer - äußerst präzis musiziert, die Aufführung hatte musikalisch keine trüben Stellen, doch auch wenig Farbe und wenig Plastik. Wie vorher "Tannhäuser" und "Rosenkavalier" blieb auch dieser "Figaro" unter dem aus der Spielzeit gewohnten Niveau. Dabei hatte er in dem wohl unübertrefflichen Grafen Dietrich Fischer-Dieskau einen Mittelpunkt und Motor, der alle hochriß. Es gibt derzeit wohl keinen Sänger, der die Verbindung, das Ineinander von scharf pointierendem Rezitativ und prachtvollem ariosem Gesang so souverän beherrscht und der in jeder Nuance so vollkommen überzeugt wie Fischer-Dieskau.

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Hans Huber

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