Zum Liederabend am 16. März 1973 in Duisburg


Neue Ruhr Zeitung, Duisburg 19. März 1973

Der Meisterbariton wieder zu Gast

Brahms-Lieder von Fischer-Dieskau und Weißenborn in der Mercatorhalle

Infolge Schwierigkeiten bei der Unterbringung offenbar unvorhergesehener Besucherscharen mußten der Sänger und das Publikum warten. Mit erheblicher Verspätung begann Dietrich Fischer-Dieskau zu singen, ohne daß man ihm Verärgerung angemerkt hätte. Die noble, verbindliche Haltung des hochgewachsenen Mannes trägt nicht wenig dazu bei, daß man ihn sympathisch findet.

Dies war freilich auch ein wahres "Meisterkonzert". Fischer-Dieskau nimmt nun seit bald zwanzig Jahren als Liedinterpret eine unbestrittene Spitzenstellung ein. Die so geistvolle wie durchgeistigte Art seiner Gestaltung von Lyrik stimmt überein mit dem Kunstverstand und der Gefühlswärme des Musikers. Die Gabe des hervorragenden Organs ist kultiviert durch eine überlegene Gesangstechnik.

So kommen diese immer neu bewundernswerten Meisterleistungen auf dem Podium zustande, die den Zuhörer zur Begeisterung zwingen, gleich ob er wenig oder viel vom Fach versteht. Auch dann noch, wenn gewisse Eigenheiten des Baritons Fischer-Dieskau hervortreten: das Abreißen einer Phrase mitten im Wortsatz, die Betonung einer Stelle, das Herausschleudern eines Tones. Auch das gehört zur Charakteristik dieses Sängers, dem Sinnlosigkeit in seinem Singen gewiß nicht vorzuwerfen ist.

Wie vielmehr die Deklamation immanenter Bestandteil seiner Liedgestaltung ist, kam auch und gerade einem Brahms-Programm zustatten, das aus anderthalb Dutzend teils bekannter, teils selten gesungener Lieder bestand, überwiegend aus der mittleren und späteren Schaffenszeit und von den verschiedensten Dichtern.

Auf dem schönklingenden, penibel angepaßten Klanggrund, den der treffliche Günther Weißenborn auf dem Flügel bereitet, wird da Brahms auf die feinste Weise differenziert. Der vom Komponisten primär musikalisch erfundenen, nur mehr den Stimmungsgehalt des Gedichts aufnehmenden Melodie wird vom Text her Wortsinn hinzugegeben, so daß man oft neue Bedeutungen zu vernehmen meint und sich der eine Brahms in seinen Dichter mehr zu vervielfältigen scheint, als man das sonst hört. Damit wird auch das Hören von Schöngesang um die Komponente reicher, die ideale Lieddarstellung bedeutet.

D.

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