Zum Liederabend am 12. August 1972 in München


     Süddeutsche  Zeitung, 14. August 1972     

Münchner Festspiele

Dank an Fischer-Dieskau

Wolfgang Sawallisch begleitete den großen Liedsänger bei einem Schumann-Abend im Herkulessaal

     

Nein, darüber kann ich keine Kritik verfassen, keinen "Zwar:Aber-Hymnus", das stand darüber, machte wie alles (fast) Vollkommene zugleich glücklich und ein wenig melancholisch. Dietrich Fischer-Dieskau sang Lieder, die Robert Schumann auf Texte von Heinrich Heine komponiert hat. Manchmal schien es, als ob gerade die wunderbar intelligente und doch im Ausdruck lakonisch-leichte Lyrik Heines, samt der wohl beispiellos sensiblen, reinen und herrlich produktiv-nervösen Melodik Schumanns Fischer-Dieskaus genial genau erfassender Musikalität wahrhaft wesensverwandt seien.

Wie kaum je zuvor versteht es Fischer-Dieskau gegenwärtig, Spannungsbögen aus dem Geiste des Textes und der Musik herzustellen. Deklamation wird dabei aber niemals belehrender (oder auch nur stolz die eigene Gescheitheit demonstrierender) Selbstzweck, sondern – und damit erweist er sich nach wie vor als eindeutig erster Liedersänger der Welt – die finessenreichste und sensibelste Abschattierung scheint immer in den Verlauf der Lieder integriert. Sticht nicht (mehr) heraus. Wenn Fischer-Dieskau eine erschrockene Pause macht: "Sie flohen heimlich von Hause fort / Es wußt’ weder Vater (Pause) noch Mutter", und man diese Pause für eine großartige Eigenmächtigkeit halten möchte, dann hat Schumann den Effekt präzis mittels rhythmischer Versetzung komponiert; wenn er die Klage des "Ausblieb sie auch heut" entzückend pointiert, ganz aus dem Verlauf der seelisch-melodiösen Kurve, dann steht bei Schumann wirklich ein Ritardando. Wenn Fischer-Dieskau beim "Abends am Strand" vom Seemannsgarn über Inder und Lappländer zurückleitet zur erschrockenen Einsamkeit der Lauschenden, dann wirken solche Deklamationsgeheimnisse unnachahmlich. Den mich bei Fischer-Dieskau immer ein wenig störenden Überschuß des Heiter-Gestisch-Deklamatorischen scheint der Sänger zu brauchen, um selber seelisch in Bewegung zu kommen.

Drei Heine-Lieder, denen der ganze Liederkreis Opus 24 folgte, (ein herbes, eher fahles als melodiöses Werk) machten das Publikum vor der Pause beklommen und stumm. Nach der Pause stand dann die "Dichterliebe" auf dem Programm. Fischer-Dieskau hob sie weit über Genrehaftes hinaus, in den hohen Bezirk liedzyklischer Kunst. Hier gehört ja das Extravagante, Verzweifelte dazu, sonst stellt sich Gefälligkeit ein. Und vielleicht gelangen die herb-rezitativischen ("Ich hab’ im Traum geweinet") oder melancholisch-fantastischen ("Aus alten Märchen winkt es") Lieder noch besser als die liedhaft-melodiösen.

Wolfgang Sawallisch – mehr als Begleiter, weniger als Führer – hing an Fischer-Dieskaus Lippen und ging auf jede Nuance ein. Er spielte so zurückhaltend und zart, dass ihm ein Kompliment zu machen ist, zu dem man sich sonst selten gedrängt fühlt: wer so diskret abzutönen versteht, darf ruhig den Bechstein ganz öffnen – nach Gerald Moores Rat, den Moore in München freilich auch nicht befolgt hat. Und vielleicht müsste die Stimme des Klaviers, die ja keine zweite Stimme ist, bei "Ich will meine Seele tauchen" noch dringlicher dem Sänger ins Wort fallen ("Das Lied soll schauern und beben"). Vielleicht müsste der elend schwierige Tanzrhythmus, wenn die Allerliebste einen anderen heiratet, noch wüster dazwischenschmettern. Die Zuhörer, die glücklicherweise kaum zu husten wagten und nie falsch dazwischen klatschten, schienen wild entschlossen, zahllose Zugaben zu erzwingen. Aber waren die wild auffahrende und dann fahl zerrinnende Utopie des vorletzten Dichterliebe-Liedes und das zynische Gefühlsbegräbnis des letzten nicht Konfigurationen verzweifelten Schweigen-Müssens?

Joachim Kaiser

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     Münchner Merkur, 14. August 1972     

Mit Fischer-Dieskau abends am Strand

Der Sänger gastiert mit einem Schumann-Heine-Programm

   

Wenn aus der Menschenmenge in der Eingangshalle zum Herkulessaal Schilder mit der Aufschrift "Karte gesucht" hochgehalten werden und während eines Liederabends vor dem Podium Blitzlichter aufflammen, muß es sich um ein besonderes Konzert handeln. Zum Beispiel um ein Schumann-Heine-Programm (was im übrigen den Ankündigungen nicht zu entnehmen war) mit Dietrich Fischer-Dieskau und Wolfgang Sawallisch.

Es begann mit dem seltenen "Abends am Strand", in dem schon viel von den harmonischen Kostbarkeiten und der Kunst des Klaviersatzes enthalten ist, die an diesem Abend noch so reich zur Geltung kommen sollten. Dem spätesten Lied des Abends ("Mein Wagen rollet langsam") folgte Schumanns "Liederkreis" op. 24, entstanden zwölf Jahre nach der flüchtigen Bekanntschaft zwischen dem Komponisten und dem 13 Jahre älteren Dichter. Als Krönung folgte dann nach der Pause die "Dichterliebe".

Hier mußte man wohl in jeder Einzelheit mit dem Liedgestalter Fischer-Dieskau einverstanden sein. Vielleicht lag es gerade an der Geschlossenheit des Schumannschen Werkes, daß alles so rund und – bei aller Verschiedenheit des Ausdrucks – so einheitlich gelang. Im ersten Programmteil machte einem doch manchmal der Intellekt des Sängers zu schaffen, sein Rezitieren vom Flüstern über die Tonlosigkeit bis zum Quasi-Schreien, sein Infragestellen des Liedes als nur-musikalische Kunstform, vielleicht auch die Furcht vor aufgesetzter Romantik. Beispielhaft aber, gerade aus dieser Haltung heraus, gelangen Lieder wie "Ich grolle nicht" oder (unter den Zugaben) "Du bist wie eine Blume" – mit großem Nachdruck, doch ganz ohne die nahe Sentimentalität. Sawallisch am Flügel, ein mit Fischer-Dieskau sicher nicht übereinstimmendes künstlerisches Temperament, war pianistisch wie in der Anpassung an den Sänger makellos.

-tel

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     Münchner Merkur, 14. August 1972    

Die Liederabende der Baritonisten

Dietrich Fischer-Dieskau und Barry McDaniel in München

   

In der Münchner Kultur-Olympiade hat Dietrich Fischer-Dieskau - vierzehn Tage vor Beginn des sportlichen Kampfes - die olympische Flamme im Herkulessaal der Residenz zu München entzündet. Rote Blitze eines sommerlichen Gewitters zuckten am Himmel, während ein hochgestimmtes Publikum des gehobenen Bürgertums der Stätte zuströmte, wo der Olympier aller Sänger, der deutsche Orpheus mit seiner Harfe (die diesmal Generalmusikdirektor Wolfgang Sawallisch, Münchner Opernchef, am Flügel verkörperte), das schönste Programm seines großen Liedrepertoires bot: Schumanns Liederkreis op. 24 und die Dichterliebe op. 48.

Die Heineschen Texte deklamierte der ewig jung scheinende, nun 47jährige Sänger wie ein großer Schauspieler, ohne je die gesangliche Linie zu verlassen. Alle Freunde des Sängers kennen diese empfindsamen Lieder, und doch war es wieder so, als ob man das alles zum ersten Male hörte. Auch der Hörer wandelt sich im Lauf der Jahre, nimmt etwas, was ihm lange vertraut, erneut wie eine Offenbarung auf, wenn es so makellos rein und schön, ohne jede kleinste technische Schlacke interpretiert wird. "Ich grolle nicht" sang Fischer-Dieskau in der Tenorlage, schmetterte mühelos ein strahlendes hohes A in den Raum wie eine Fanfare; seine Pianotöne hatten die gleiche klangliche Intensität und Tragkraft wie die gewaltigen Fortestellen in allen Lagen. Die nach einer Reinigung hell schimmernden Gobelins der Taten des Herakles an den Wänden des Konzertsaals (was ist in München nicht aufgefrischt in diesen Tagen?) wetteiferten mit diesem Leuchten einer Stimme, deren Klang, deren Technik ein Grenzfall, ein unbegreifliches Phänomen unserer Zeit geworden ist.

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Eckart Fricke

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     Abendzeitung, München, 14. August 1972     

Fischer-Dieskau sang Schumann-Lieder

Die Schnulze ist auf die Straße gegangen

   

Liederabend Dietrich Fischer-Dieskau mit Wolfgang Sawallisch am Flügel. Auf dem Programm: Schumann-Lieder nach Heine. Herkulessaal.

Darüber. worin der Zauber der Liedkunst liegen könnte, die in Deutschland unbestreitbar ihre Heimat hat. gibt die auf die Straße geratene verkommene Schwester des Liedes, die Schnulze, indirekte Auskunft. Von allen Schnulzen nämlich, den englischen, französischen oder italienischen, wirkt die deutsche am plumpsten, am peinlichsten. Sie nimmt sich wie ein grotesk verkitschtes Lied aus. Sie hat auch nicht den ungenierten Schmiß eines Straßenmädchens, sondern die geschmacklose Frechheit einer auf die Straße geratenen Bürgertochter. Ihre Syntax ist falsch, ihre Verse sind schlecht, ihre Bilder verkehrt und darum wirkt die billige Melodie doppelt erbärmlich.

Alles, was an der deutschen Schnulze schlecht ist, ist am deutschen Lied gut. Hier erfährt die keineswegs kantable, aber ausdrucksreiche deutsche Sprache durch eine zur Zeit der Romantik geheimnisvoll verfeinerte Vermählung von Musik mit Wort eine wunderbare Vieldeutigkeit durch den Klang. Wer das erkennt, ist ein guter Liedersänger.

Unter der Fülle von herrlichen Liedersängern, die Deutschland hervorgebracht hat, ist Fischer-Dieskau vielleicht der größte Adept des Wortklanges. Er ist ein Meister vokaler Einfärbung, der Be- und Durchleuchtung des Wortes. Darin liegt seine epochale Wirkung, die nur relative Beziehungen zum reinen Schöngesang hat. Die Heine-Lieder Schumanns erhielten durch Fischer-Dieskau die Weite, die Dichte und die Dramatik der Andeutung, deren die Lyrik in ihrer Ausdrucksunermeßlichkeit fähig ist, aber auch den Reiz des Ewigneuen.

Sawallischs Begleitung war ideale Mitgestaltung durch kristallene Klarheit, mitatmende Rhythmik und außerordentliche Feinsinnigkeit der Nachspiele.

Antonio Mingotti

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     tz, München, 14./15.  August 1972     

Musik in München

Liederabend Dietrich Fischer-Dieskau im Herkulessaal

am Flügel: Wolfgang Sawallisch

   

Diesmal sang Fischer-Dieskau Lieder von Robert Schumann nach Gedichten von Heinrich Heine. Er hat nichts von seinem außergewöhnlichen Rang eingebüßt: Wie er Musik und Dichtung bindet, indem er die jeweilige Komposition ebenso restlos auslotet wie das dichterische Wort, das macht ihn zum bedeutendsten Liedgestalter deutscher Zunge.

Das schließt nicht aus, dass sich Manierismen einschleichen, etwa wenn er in dem Satz ".... und ich hab es d o c h getragen" das Sforzato auf dem "doch" überdeutlich macht. Auch muss Fischer-Dieskau in: "Ich grolle nicht..." in der Höhe stark forcieren, doch sind das winzig kleine Schönheitsfehler gegenüber vollendeter Gesangskunst.

In Wolfgang Sawallisch hatte Fischer-Dieskau den idealen Partner. Das ist bei Schumann besonders wesentlich, ist doch alles vom Klavierklang her konzipiert. Das Nachspiel zu: "......ich senkt auch meine Liebe / und meinen Schmerz hinein" zählt zum Ergreifendsten, was ich jemals in einem Liederabend zu hören bekam.

Das Publikum zeigte sich trotz drückender Hitze unersättlich, es raste und forderte Zugabe um Zugabe.

Karl-Robert Danler

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