Zur Oper am 13. Februar 1972 in München


Süddeutsche Zeitung, 15. Februar 1972

Trotz undurchdringlicher Symbolik - Opernzauber

"Die Frau ohne Schatten", neuinszeniert im Münchner Nationaltheater

Um mit dem zu beginnen, was an der Neuinszenierung der "Frau ohne Schatten" im Nationaltheater das Befremdliche ist: Auch wer die Zulässigkeit von Strichen in der längsten, musikalisch aufwendigsten und dramaturgisch schwierigsten Oper von Richard Strauss bejaht, wird den Wegfall der "Stimmen der Ungeborenen" am Schluß nicht gutheißen können. Denn diese 22 Takte, von Strauss mit der Vorschrift "Heiter bewegt und schwebend" bezeichnet, resümieren ja noch einmal die poetische Grundidee der Oper, daß erst mit der Erwerbung des Schattens Mutterschaft, Ehe- und Elternglück besiegelt sind und damit zugleich auch die Erfüllung alles Menschlich-Weiblichen. Im ersten Akt, wenn die Färbersfrau versprochen hat, "abzutun Mutterschaft auf ewige Zeiten" und ihren Schatten der Kaiserin - sie, die Geistertocher, ist die Frau ohne Schatten - abzutreten, winselt es gräßlich aus Kinderstimmen in ihre Ohren, anklagend und jammernd; die musikalisch wie dramaturgisch unbedingt geforderte endgültige Parallelstelle dazu sind, ins Lichte, in leisen Jubel und frohe Verheißung gewendet, jene 22 Takte am Schluß. Sie zu streichen, kommt einer Amputation gleich, die Hofmannsthal und Strauss niemals gebilligt hätten. Sie ist dem Dirigenten Wolfgang Sawallisch und dem Inszenator Oscar Fritz Schuh gleichermaßen anzulasten.

Ein zweiter Einwand betrifft das "Wasser des Lebens", jenen Quell, der die Kaiserin versuchen soll, aus ihm zu trinken und damit den Kaiser aus seiner Versteinerung zu erlösen. Er steigt auf in Gestalt einer fontäneartigen Attrappe, über die wellig fließendes Licht rieselt. Mit Verlaub: Auch wenn Hofmannsthal für die theatralische Gestalt der "Frau ohne Schatten" stärkste Anregungen vom Altwiener Feen- und Zaubermärchen empfangen hat, so scheint jener Rückgriff auf die naive Bühnenillusion der Zeit Schikaneders und Ferdinand Raimunds hier doch verfehlt - die Dimension der durch ihre überschwere Symbolik für das Verständnis äußerst schwierigen Szene wird da allzusehr aus dem Reich des strengen Geisterfürsten Keikobad verschoben in jenes von Raimunds urgemütlichem Feenkönig Longimanus; und was böte sich gerade zur Erleichterung des Verständnisses dabei selbstverständlicher an als ein aufsteigender Strahl natürlichen Wassers? Hier sind in Schuhs Inszenierung nicht nur, um die dämonische Amme zu zitieren, "Übermächte im Spiel", sondern auch entschieden zuviel Apparatur und zuwenig Elementares. Und damit wäre der dritte Vorbehalt angesprochen, diesmal das Musikalische betreffend.

Die leistungsfähige Elektronik des Hauses hat Sawallisch dazu verlockt, die zahlreichen Stellen in der "Frau ohne Schatten", in denen "unsichtbar" gesungen wird, ausnahmslos elektronisch zu verfremden. Muß hier aber nicht unterschieden werden, was zum Menschlichen und Kreatürlichen, und was zum Dämonischen, zu den "Übermächten" gehört? Der klagende Ruf des Falken, schmerzlich spitz und bohrend mit seinen Kleinen-Sekund-Vorschlägen, klingt (mit der Stimme Antonie Fahbergs) über Verstärker viel zu voluminös und hallend, und jenes Gewinsel der ungeborenen Kinder, das doch nichts anderes ist als die Stimme des Gewissens der Färberin - wäre es nicht viel schrecklich-eindringlicher, wenn es, wie es die Partitur verlangt, von Kinder- oder zarten Frauenstimmen aus dem Orchester ("mit dem Rücken zum Publikum") tönte, als daß man wiederum ans Tonband denken müßte? Wenn dagegen am Schluß des zweiten Akts, als Keikobads furchtbarer Zauber beginnt und das Färberhaus im Sturm versinkt, oder als im dritten des Geisterkönigs Posaunen seine Tochter (die Kaiserin) vor das väterliche "Gericht" rufen, das ganze Dämoneninstrumentarium elektronisch dröhnt und tobt, ist die Wirkung grandios und schauerlich, das Klangvolumen des Orchesters ins Überdimensionale steigernd, den Augenblick der Katastrophen signalisierend, den jene intimen "Stimmen" - der Falke und die Ungeborenen - den beiden um ihren Schatten ringenden Frauen verkünden. Sollten die beiden Klangregionen - die zauberische und die menschliche, die dämonische und die humane - darum nicht auch in der Klangerscheinung deutlich voneinander zu unterscheiden sein?

Hiermit sei der Katalog der Einwände geschlossen und der Neuinszenierung die Reverenz erwiesen, die ihr gebührt. Die szenische Verdeutlichung der symbolbeladenen, fernöstliche Fruchtbarkeitsmysterien und zu höchstem theatralischen Aufwand gesteigertes Wiener Zaubertheater, kompliziertes Seelendrama und in üppigstem Klangbarock schwelgende Große Oper vereinigenden Handlung wird nie ganz gelingen - zu groß ist der Widerspruch zwischen der doch irgendwie fabulierende Märchenunschuld vorgebenden Erfindung und dem ungeheuer ambitiösen artistischen Raffinement ihrer szenischen Zurüstung. Da ist es denn sehr zu rühmen, daß Oscar Fritz Schuh, zum erstenmal auf der Opernbühne seiner Vaterstadt am Werk, sich vom Märchenhaften nicht allzu tief in die revuehafte exotische Feerie von "1001 Nacht" verlocken läßt, sondern daß er, indem er auf der "oberen" Ebene des Kaiserpaares das Gleichnishafte ganz, auch noch bei der Prüfung der Kaiserin vor dem Schreckensbild des versteinerten Gatten, auf sich beruhen läßt, es in der unteren des Färbers Barak und seines Weibes behutsam, ja zart ins Menschliche auflöst - ich denke da besonders an die stummen Szenen des Mannes und der Frau zu den beiden Orchestersätzen in D- und Des-Dur im ersten Akt vor Baraks Abgang zum Markt: Das war als psychologisches Duo von Dietrich Fischer-Dieskau und Hildegard Hillebrecht sehr schön, verhalten, mit so intensiv gesammeltem Ausdruck gespielt, daß es pantomimisch dem weitgespannten Symphonischen der Musik völlig die Waage hielt und zugleich im Überflutend-Lyrischen eben dieser Musik diese dramatische Unterströmung, wie sie durch die Spannung im Verhältnis der beiden Gatten zueinander gegeben ist, zutagetreten läßt.

So ist im ganzen Schuhs Regie vor allem klärende, der Aufschlüsselung der (dennoch nie völlig durchdringlichen) Symbolik dienende Personalregie, immer mit dem Ziel, das Menschliche herauszuleuchten, während er die dunkle Unergründlichkeit des Geisterreichs zu figurieren seinem Bühnenbildner Jörg Zimmermann überläßt, in Welten wie aus schwarzem, blausilbrig schimmerndem Lavagestein, von irrealem (Laser-)Licht überblitzt, wenn Keikobad eingreift.

Märchenhafte Poesie

Jugendstil spielt herein in den Bildern der kaiserlichen Terrassen und Jagdwälder; nicht ohne Grund, denn ist diese prunkende und farbenfunkelnde Partitur nicht geradezu des Jugendstils, zumal des Wiener, musikalische Apotheose? Man hätte ihn sich sogar weniger diskret ins Bild gesetzt vorstellen können als etwa in der Vision von Glanz und Reichtum, die die Amme der Kaiserin der armen Färbersfrau vorgaukelt und in der, abgesehen von der räumlich ungünstigen Placierung der Erscheinung, just an den Emblemen von Glanz und Reichtum etwas zu sehr gespart worden ist. Und hätte nicht ein in blendendster Helle erstrahlender Goldgrund à la Gustav Klimt den C-Dur-Jubel des Finalquartetts bildhaft besser gespiegelt als die rote Emil-Nolde-Sonne in einem dunkelgebliebenen Himmel?

Wolfgang Sawallisch: Wer die "Frau ohne Schatten" jemals von Richard Strauss selbst gehört hat, konnte meinen, der Geist des Meisters sei in seinen kapellmeisterlichen Zunftgenossen und Münchner Landsmann zurückgekehrt. Da war alle Wagner-Schwere aus dem Klangapparat gewichen, der trotz seiner Monstrosität durchlichtet und virtuos beweglich blieb (im Orchester zumal in den wunderbaren Holzbläsern, während beim sonoren As-Dur-Schluß des ersten Akts dem nicht ganz reinen Blech ein strafender Blick von Strauss nicht erspart geblieben wäre). Durch die innere Bewegtheit - nicht Hast - der Tempi wurden auch die zuweilen gefährlichen Klippen der Sentimentalität im steten Fluß der lyrischen Kantilene überwunden, ebenso wie Sawallischs großartiger dramatischer Impetus auch in den orchestralen Katastrophenschilderungen nie den Eindruck des nur Illustrativen aufkommen ließ. Die phänomenale Klangartistik, mit der Strauss Blendwerk und trügerischen Zauber der Geister suggeriert, wurde vom Orchester mit den subtilsten Finessen ausgespielt und von den Solisten Ingo Sinnhoffer (Violine), Franz Amann (Violoncello) und Bruno Hoffmann (Glasharmonika) in eine wirklich traum- und märchenhafte Klangpoesie verwandelt. Das Wort Hofmannsthals von einer "Musik ohne Widerstand", die für die "Frau ohne Schatten" gefordert werden müsse - unter Wolfgang Sawallisch ist es Wirklichkeit geworden.

Große Strauss-Stimmen

Wenn irgendwo, so ist in diesem monumentalisierten späten Nachklang der "Zauberflöte" ein Ensemble wirklich großer "Strauss-Stimmen" unabdingbare Voraussetzung einer authentischen Aufführung. In dieser Hinsicht kann das Nationaltheater Baraks "O Glück über mir" auch für sich in Anspruch nehmen, denn eine glanzvollere Besetzung der fünf Hauptpartien ist heute kaum vorstellbar. Geblieben sind aus der denkwürdigen Aufführung unter Joseph Keilberth und Rudolf Hartmann von 1963 die herrlich (und auch in der höchsten dramatischen Emphase mühelos) gesungene Kaiserin von Ingrid Bjoner und Dietrich Fischer-Dieskaus wunderbarer Barak, ein Verträumter, kein nur "simpler" Mensch (der ein Fischer-Dieskau mit seinem wahrhaft aristokratischen Kunstverstand nie sein kann). Wie er Strauss’sche Baritonkantabilität in Charaktersprache umsetzt, ist einzigartig. James King stattet den Kaiser mit allem heldentenoralen Glanz aus, der der unpersönlichsten unter den Figuren dieses Märchenspiels Farbe gibt. Hildegard Hillebrechts Rollendebüt als Färberin verlief so, wie man es von dieser in der Wahrhaftigkeit ihrer Menschengestaltung immer restlos überzeugenden Künstlerin erwarten konnte: Alle Reserven ihres hier durchaus hochdramatisch timbrierten Soprans ausschöpfend, gab sie ein faszinierendes Seelenporträt von Not und Leidenschaft, Angst, Trieb und endlich befreiter Liebe, welches das übliche Charakteristikum "launisch" weit hinter sich zurückließ. Grandios Astrid Varnay als Amme, halb hexenhafte Dämonin, halb kupplerische Zaubervettel - wenn sie das Wort "Menschen" ausspricht, werden Haß und Verachtung in ihrem Mund zu schierem Gift. Und die Kraft ihres dramatischen Affekts ist noch immer ungeheuer.

Der Beifallssturm am Schluß der auch in den kleineren Partien hervorragend besetzten vierstündigen Aufführung brandete nicht, er donnerte gegen die Bühne und schien kein Ende nehmen zu wollen.

K. H. Ruppel


   

     Abendzeitung, München, 15. Februar 1972     

Strauss-Neuinszenierung im Nationaltheater

Frau mit Schatten

   

Hochbejubelte Neuinszenierung der "Frau ohne Schatten" von Richard Strauss im Nationaltheater. Dirigent: Wolfgang Sawallisch, Regie: Oscar Fritz Schuh, Bilder und Kostüme: Jörg Zimmermann, Chöre: Wolfgang Baumgart.

Als Richard Strauss die Librettofracht der "Frau ohne Schatten" erhielt, vollgepackt mit "Zauberflöte" plus "Tausendundeiner Nacht" plus "Westöstlicher Diwan", jubelte sein musikalisches Illustrationsherz.

In der Tat gelangen ihm herrliche Dinge, wie etwa das Rhythmusprogramm des Geisterfürsten Keikobad, der dadurch, zwar niemals sichtbar, aber ebenso wie Agamemnon in "Elektra", stets anwesend ist. Andererseits wurde Strauss von der Biederkeit des Färbers Barak zu einer Trivialmelodie verführt, die eine fatale Ähnlichkeit mit dem Schlager "Das gibt’s nur einmal..." hat.

Überhaupt feiert hier die bürgerliche Wohlstandsmelodik Straussens Triumph und erzeugt, angereichert, durch ein erotisches Fluidum, jenes legitime Glücksgefühl, das gutsituierte Bürger auf Hochzeitsreisen haben.

Darum wird sich "Die Frau ohne Schatten" noch länger schattenloser Beliebtheit erfreuen. Das Bild der Szene märchenhaft anzulegen, wie es Jörg Zimmermann tat, war schön und richtig. Bedauerlicherweise wußte Oscar Fritz Schuh nichts Entsprechendes damit anzufangen. So ließ er einfachheitshalber nach "Übermächte sind im Spiel" das ganze Färberhaus samt Mond, Kaiserin und Amme versinken, obwohl mindestens die letzten beiden sich in Sicherheit bringen müßten.

Schuh ließ im vorletzten Bild den versteinerten Kaiser wie belanglos von der Seite auftreten, er versagte Barak das symbolträchtige Zauberschwert, dessen phallische Bedeutung die Färberin erst zur Einsicht bringt, er ersetzte den unersetzlichen Zauber springenden Wassers durch ein Gebilde, das wie eine Riesenmorchel aussah, und, was das Schlimmste ist, er ließ seine Darsteller in den entscheidenden Momenten allein. Die verpfuschte Prunkvision der Färberin wurde durch die sinnlose Amortisation der sinnlosen Laser-Apparatur nicht besser.

Die Musik mußte die Handlungssprünge und Risse ausfüllen, obwohl es auch hier ungereimte Sprünge und Auslassungen gab. (Wo sind Baraks entscheidende Rufe in der vorletzten Szene?) Alle Geisterstimmen und Chöre mögen auf Tonbändern berechtigt sein, nicht aber die lebendigen Falkenrufe, die in natura aus dem Orchester erklingen sollen.

Wolfgang Sawallisch musizierte mit ausgezeichneten Tempi, mit distinguiert bemessenen und darum nobel wirkenden Evolutionen, mit exzellentem Sängerkontakt und delikatem Klang des Orchesters, das sich durch elegant-virtuose Soli auszeichnete. Straussische Klang-Opulenz im Entschlackungssanatorium.

Ingrid Bjoners anmutig würdige Kaiserin ist von herrlicher stimmlicher Leuchtkraft und Rundung. Ihr kontrapunktiert Astrid Varnays regieverlassene aber stets großartig konzipierende Amme. James King, als Kaiser nur "Jäger und Verliebter", ist als Tenor von 22karätigem Gehalt. Hildegard Hillebrechts Färberin-Debüt verlief höchst erfolgreich durch die ihr eigene Intensivierung der Partie. Fischer-Dieskau macht aus Barak Fischer-Dieskau, dem wir die Bewunderung nie versagen können, auch wenn er uns einen Charakter unterschlägt. Karl Christian Kohn tönte als Geisterbote enorm. Allem, was auf Band gebannt war, ein Bravo.

Ovationen für die Frau ohne und eine Aufführung mit Schatten.

Mingotti


    

     tz, München, 15. Februar 1972     

Nationaltheater-Premiere: "Die Frau ohne Schatten"

[...]

Strauss fiel zu Hofmannsthals Text (dem zu Unrecht unverständlich krauser Märchen-Symbolismus vorgeworfen wird) eine seiner inspiriertesten Musiken ein, ein Kosmos des Oben und Unten, Geisterwelt-Schrecken, leuchtende Noblesse der exotischen Kaiser-Sphäre und bewegende Herztöne für die "dumpfen" Menschen.

Wolfgang Sawallisch hatte einen seiner größten Abende, dirigierte die schillernde Partitur transparent bis in die kleinsten Verästelungen, beseelt von mitfühlender Humanität in den lyrischen Szenen und mit unheimlicher Wildheit etwa in der Traumszene der Kaiserin, die tiefenpsychologische Bereiche aufreißt und dem großen Strauss-Antipoden Gustav Mahler geheimnisvoll nahe ist.

Die Magie dieser Musik erfaßten dagegen Regisseur Oscar Fritz Schuh und Bühnenbildner Jörg Zimmermann kaum. Zwei Möglichkeiten gäbe es: klare Märchensymbolik (wie sie Emil Prätorius für die Prinzregententheater-Aufführung der 50er Jahre entwarf) oder zeitgemäße Deutung. Das Ungeheuerliche ist doch, daß hier eine Frau einer anderen die Fruchtbarkeit abhandeln will - bei Hofmannsthal steht dafür der Schatten, heute würde man über eine Gebärmutter-Transplantation sprechen.

Die beiden Szeniker setzten jedoch bloß auf überladene Ausstattung und Opern-Arrangements. Den Kaiserpalast illustrierten riesige Nachtmützen eines Kublai Khan, dann ging’s hinab zum guten Menschen von Sezuan, das "Wasser des Lebens" war ein mit Wiener Würstchen behangener Maibaum, und zum Schluß ging die rote Sonne von Sapporo auf. Dazu wirkte in den Zauberszenen der Nationaltheater-Laser schlicht kitschig, und die Zaubertricks wie Bett-Teilung und Fischlein-Flug durfte man sich denken.

Am besten gelangen Schuh die Szenen zwischen Barak und seinem Weib. Dietrich Fischer-Dieskau war in seiner stimmlichen und menschlichen Güte ein ergreifend ruhender Pol in unruhiger Brandung, und Hildegard Hillebrecht überzeugte darstellerisch (stimmlich - die Bravo-Rufe für sie waren unbegreiflich - wird sie ab der Mitte des zweiten Akts der Partie erschreckend schlecht gerecht, zwingt sich zu schwer erträglichen Kehlkopf-Quälereien).

Wie mit Platin-Fanfaren ließ dagegen Ingrid Bjoners Kaiserin herrlichsten Strauss-Klang erschallen, und auch James Kings Kaiser war nicht versteinert, sondern durch und durch aus Edelmetall.

Die unvermutetste Enttäuschung: Astrid Varnay als Amme. Nornenhaft eindrucksvoll in den Eck-Akten, spielte sie im Färberhaus nichts von der niedrig dämonischen Seelenverkäuferin und Fötus-Räuberin, sondern blieb uneklig unverbindlich. Da hatte der Regisseur sie offensichtlich ganz im Stich gelassen, der Schuh sich endgültig gedrückt.

Maurus Pacher


   

     Münchner Merkur, 15. Februar 1972

Nationaltheater: Oscar Fritz Schuhs erste Münchner Opern-Regie

Im Laser-Strahl die Frau ohne Schatten

[...]

Schuh steuert ohne Umschweife das Märchen an, will nichts, als das Stück, wie es ist, groß, bunt und geheimnisvoll verrätselt, vorführen. Diese Bescheidung nimmt für ihn ein. In den einzigen wirklich dramatischen Szenen der Oper, in der Färberhütte, führt er die Darsteller so präzise, daß über die äußere Aktion hinaus auch die geheimen Wünsche und Befürchtungen jedes einzelnen deutlich werden, das allmähliche Hingezogenwerden der Kaiserin zu Barak, das Erwachen ihres Mitgefühls, die immer tiefergreifende Verhärtung der Färberin. In den andern Szenen allerdings, in denen Hofmannsthal die Handlung nicht weitertreibt, sondern nur einen Status aufzeigt, schrumpft auch Schuhs Regie zwangsläufig zum Arrangement.

[...]

Wenn es Strauss und Hofmannsthal auch nicht wahrhaben wollten - auch in dieser Aufführung interessiert das "niedere" Paar mehr als das hohe. Dietrich Fischer-Dieskau schwelgt in baritonalem Cello-Klang, wird ganz eins mit der dumpfen, starken Menschlichkeit des Färbers, des Orientalen mit dem deutschen Hang zu Sentimentalität. Sein Spiel ist schlicht und glaubwürdig auch noch in der Resignation und im Aufbegehren gegen überirdische Mächte, die in sein Dasein eingreifen und ihn zu zerstören suchen.

[...]

Helmut Schmidt-Garre


    

     "Oper und Konzert", München, 3/1972     

Nationaltheater

Frau ohne Schatten

[...]

Der Aristokrat unter den Handwerkern, sozusagen Färber mit Abitur, war Dietrich Fischer-Dieskau. Die Kantilenen Baraks phrasierte er so intelligent, daß man nicht nur den Mendelssohn-Charakter vergaß, sondern auch die Figur selbst. Hat er wirklich einen Rücken, "der stark ist wie der eines Kameles"? Wenn sich mit unendlicher Zartheit die Hände zu seiner Frau strecken, tritt dann nicht Mandryka auf Arabella zu? - und nicht der "Vierschrötige, mit gespaltenem Maul und niedriger Stirn"? Das soll nicht des grandiosen Sängers Leistung verkleinern - es scheint mir nur, daß sich hier Ausstrahlung, Sein und Rolle nicht so decken wie etwa bei Jochanaan.

[...]

Dr. Klaus Adam


    

     Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. Februar 1972     

Opulentes Märchenstück

Neuinszenierung von Strauss’ "Frau ohne Schatten" an der Bayerischen Staatsoper

[...]

In solchem Rahmen war Oscar Fritz Schuhs Regie (erstaunlicherweise seine erste Opernregie in diesem Hause) sorglich und genau, zumal was die Führung der singenden Darsteller bei den "Erdenszenen" betraf. Allerdings hatte er in Dietrich Fischer-Dieskau und Hildegard Hillebrecht ein Färberpaar, das seinen Intentionen offensichtlich ganz zu entsprechen vermochte. Dieser Barak war von bewegender Verhaltenheit, kein tumber Tor, sondern ein leidender Mensch von einem unverstandenen Schicksal getroffen, gegen das es keinen Widerspruch gibt, sängerisch von großartiger Prägnanz des gestaltenden Wortes. Und Hildegard Hillebrecht, die man aus der Frankfurter Aufführung als etwas statuarische Kaiserin kennt, gab hier ihr Debüt als Färberin und schien damit erst ins richtige Fach zu kommen: Nun war sie ganz glaubhaft, eine Frau mit unerfüllten Sehnsüchten, zaudernd, zweifelnd, verzweifelnd und endlich Baraks Menschlichkeit in Liebe erkennend. Dazu glänzend bei Stimme.

[...]

Autor unbekannt


   

     Neue Zürcher Zeitung, 23. Februar 1972

"Die Frau ohne Schatten"

Neuinszenierung der Strauss-Oper im Nationaltheater München

    

[...]

Ohne ein Ensemble wirklich großer "Strauss-Stimmen" ist die "Frau ohne Schatten" auf der Bühne nicht zu realisieren. Da kann nun das Münchner Nationaltheater Baraks "O Glück über mir" auch für sich in Anspruch nehmen, denn eine glanzvollere Besetzung der fünf Hauptpartien ist heute kaum vorstellbar. Geblieben sind aus der denkwürdigen Aufführung bei der Wiedereröffnung des Hauses vor neun Jahren die herrlich und auch in der höchsten dramatischen Emphase mühelos gesungene Kaiserin von Ingrid Bjoner - wie schön ließ sie das Mitleiden an der Drangsal des durch den Schattenhandel so tief "beirrten" Färberpaars in sich aufkommen - und Dietrich Fischer-Dieskaus wunderbarer Barak, ein Verträumter, kein nur geduldiger "simpler" Mensch (der ein Fischer-Dieskau mit seinem wahrhaft aristokratischen Kunstverstand nie sein kann); wie er die Kantabilität in der melosgesättigsten aller Straussschen Baritonpartien durch Deklamation und Ausdruck in Charaktersprache umsetzt, ist einzigartig. James King stattete den Kaiser mit allem heldentenoralen Glanz aus, durch den die unpersönlichste unter den Figuren des Märchens Farbe gewinnt - der "Jäger und Verliebte", wie ihn die Amme nennt, ist ja derjenige, an dem die Läuterung durch das furchtbare Schicksal der zeitweiligen Versteinerung am wenigsten augenfällig wird. Hildegard Hillebrecht, die bisher über sechzigmal an verschiedenen Bühnen die Kaiserin gesungen hat, sang jetzt die Färberin; das Rollendébut verlief so, wie man es von dieser in der Wahrhaftigkeit ihrer Menschengestaltung immer restlos überzeugenden Künstlerin erwartet hatte: Alle Reserven ihres hier durchaus hochdramatisch timbrierten Soprans ausschöpfend, gab sie ein faszinierendes Seelenporträt von Not und Angst, Leidenschaft, Trieb und endlich befreiter Liebe, welches das übliche Charakteristikum "launisch" (der Partie anhaftend, seit Hofmannsthal zugegeben hat, daß er etwa an Pauline Strauss als Modell für die Figur gedacht hatte) weit hinter sich zurückließ. Grandios schließlich Astrid Varnay als Amme, halb hexenhafte Dämonin, halb kupplerische Zaubervettel - wenn ihr das Wort "Menschen" über die Lippen kommt, werden Haß und Verachtung in ihrem Mund schieres Gift. Und ungeheuer ist immer noch die elementare Kraft ihres dramatischen Affekts.

Der Beifallssturm am Schluß der vierstündigen, auch in den kleineren Partien hervorragend besetzten Aufführung brandete nicht, er donnerte gegen die Bühne und rief die Sänger, den Dirigenten und den Regisseur zahllose Male immer wieder vor den Vorhang.

K. H. Ruppel


    

     Braunschweiger Zeitung, 16. Februar 1972     

"Frau ohne Schatten" in der Bayerischen Staatsoper

Münchens Sängerglück

[...]

Ingrid Bjoner als Kaiserin und Dietrich Fischer-Dieskau in der Rolle des Färbers hatten in den gleichen Partien schon vor neun Jahren gesungen, als die "Frau ohne Schatten" zur feierlichen Wiedereröffnung des Bayerischen Nationaltheaters zuletzt in München inszeniert wurde. Frau Bjoner sang jetzt wie damals hinreißend, nur daß heuer ihre exaltierte Operngestik etwas störte und Dietrich Fischer-Dieskau dieses Mal die Gutmütigkeit des Färbers allzu penetrant zur Schau trug und sein wunderbarer inniger Schöngesang sich beinahe verselbständigte.

[...]

Hans Lehmann


   

     Augsburger Allgemeine, 15. Februar 1972     

"Die Frau ohne Schatten" - ein Opernfest

Ovationen für eine Neueinstudierung des Strauss-Werkes in München

[...]

Die darstellerische Intensität der Sängerdarsteller, die Klarheit der Diktion mit höchster gesanglicher Kultur, Größe des Ausdrucks mit lyrischer Vertiefung verband, hat dazu beigetragen, die gefürchteten Dunkelheiten des Stoffes aufzulichten und daneben den Opernfreunden ein Fest des Schöngesangs zu bereiten, wie man es in gleicher Geschlossenheit lange nicht mehr in der Staatsoper erlebte: das gilt für den heldisch erfüllten, sonst etwas statuarischen Kaiser von James King, die in schönstem Sopranglanz schwelgende Kaiserin von Ingrid Bjoner, die ihre eindrucksvolle Leistung von 1963 bedeutend vertiefte, aber nicht minder für das ergreifende Paar aus der Menschensphäre: die von Leidenschaften und Emotionen durchpulste, hochdramatische Färberin von Hildegard Hillebrecht wie den in seiner Schlichtheit wie im Zorn gleich überragenden Barak, dessen liedhafte Melodik Dietrich Fischer-Dieskau ohne opernhafte Emphase zum Erlebnis werden ließ. Astrid Varnays dämonisch hexenhafte Amme stand zwischen den beiden Welten, auch sie einmalig in der Entfesselung hochdramatischer Energien.

[...]

Dr. Karl Ganzer


    

     Nürnberger Nachrichten, 16. Februar 1972     

Ein Fest mit Strauss

"Die Frau ohne Schatten" neu an der Münchner Staatsoper - Erfolg für O. F. Schuh

[...]

Unter den Sängerdarstellern ragte Dietrich Fischer-Dieskau in der Rolle des Färbers Barak durch lebendig-einprägsame Gestaltung, makellose Schönheit der Stimmführung und Klarheit der Deklamation hervor; grandios auch Astrid Varnay als die mephistophelisch intrigierende Amme. Hildegard Hillebrecht gestaltete die Rolle der Färbersfrau mit leidenschaftlichem Einsatz als bewegende Tragödie der unverstandenen Frau; sie hatte ihren Höhepunkt in der abgründigen Entrücktheit ihrer Klage im ersten Akt. Dem Kaiserpaar gaben Ingrid Bjoner und James King etwas kühlen Glanz.

Hans Krieger


   

     Fränkischer Tag, Bamberg, 16. Februar 1972     

Komplexes Werk im Modellstil

Strauss-Oper "Die Frau ohne Schatten" im Münchner Nationaltheater

    

Die Bayerische Staatsoper hat sich wieder einmal ihres Auftrags erinnert, stilbildende Aufführungen der Werke von Richard Strauss zu realisieren. So kam jetzt "Die Frau ohne Schatten" in einer Neuinszenierung im Nationaltheater heraus, und man darf getrost von einer Modell-Aufführung sprechen, die hier dem Triumvirat Wolfgang Sawallisch - Oscar Fritz Schuh - Jörg Zimmermann gelungen ist.

[...]

Die Besetzung ist in dieser Geschlossenheit kaum zu übertreffen. Ingrid Bjoner singt die Kaiserin mit endlosen Stimmreserven, Astrid Varnay führt wieder einmal mit grandioser Gestaltungskraft ihr Schattendasein zwischen des "Geschickes Mächten", Hildegard Hillebrecht ist eine Färbersfrau von elementarer Kreativität, Dietrich Fischer-Dieskau der duldende Barak, dessen "... und Freude im Herzen", in reinstem Pianissimo gesungen, unvergessen sein wird, James King ein heldisch-strahlender Kaiser der Siegfried- und Stolzing-Nachfolge und Karl Christian Kohn der volltönende Geisterbote. Der Chor der Bayerischen Staatsoper, von Wolfgang Baumgart einstudiert, betätigte sich als Fernchor und verhielt sich tadellos synchron.

Das Publikum feierte alle Mitwirkenden mit tosendem Beifall, es hatte gespürt, daß eine Sternstunde im Nationaltheater eingeläutet wurde!

Karl-Robert Danler


   

     Badische neueste Nachrichten, Karlsruhe, 18. Februar 1972     

"Die Frau ohne Schatten"

Das Lieblings- und Schmerzenskind der Münchener Staatsoper neuinszeniert

[...]

Im Mittelpunkt des Interesses stand wohl Dietrich Fischer-Dieskaus schon aus einer früheren Inszenierung bekannter Färber Barak, nicht nur eine gesanglich und deklamatorisch voll überzeugende, sondern zugleich menschlich tief ergreifende Figur. Gesteigert wurde dieser Eindruck noch durch die ebenbürtige Leistung von Hildegard Hillebrecht als Färbersfrau, die sich an diesem Abend selbst übertraf. Zu einer weiteren beherrschenden Figur wurde die nicht nur stimmschön, sondern überdies mit beseelter Wärme gesungene Kaiserin von Ingrid Bjoner, während der mit heldentenoralen Glanztönen aufwartende Kaiser von James King etwas starr und unbeteiligt wirkte. Die Rolle der Amme, der Anstifterin der tragischen Verwicklungen, bot Astrid Varnay willkommene Gelegenheit, sämtliche Register ihrer faszinierenden stimmlichen und darstellerischen Charakterisierungskünste zu ziehen. Mit dröhnender stimmlicher Vehemenz stattete Karl Christian Kohn den Geisterboten aus. Auch in den übrigen kleineren Partien waren erste Kräfte am Werk. Einige klug angebrachte musikalische Striche steigerten die Geschlossenheit des Eindrucks.

Die Neuinszenierung wurde mit enthusiastischem Beifall aufgenommen.

Wilhelm Zentner


   

     Göppinger Zeitung, Datum unbekannt     

Stürmischer Beifall für "Frau ohne Schatten"

Münchner Starbesetzung unter dem Dirigenten Wolfgang Sawallisch

[...]

Zuvörderst möchten wir Dietrich Fischer-Dieskaus stimmächtige und mit aller Wärme seines tiefgeschichteten Organs ausgeleuchtete Interpretation des Barak rühmen, eines Färbers, in dem elegische Ergebenheit, Weltfrömmigkeit und tumbes Duldertum doch einen rechten Mann tragen.

[...]

Ernst Schremmer


   

     Kölner Stadt-Anzeiger, 25. Februar 1972 

Ein "King" brillierte als Kaiser

Richard Strauss’ "Frau ohne Schatten" in der Bayerischen Staatsoper

[...]

Einem Ensemble hervorragender Stimmen begegnet man selten genug, hier waren, darüber hinaus, die Hauptpartien nicht nur optimal, sondern ideal besetzt. Mühelos bewältigt Ingrid Bjoner die fast unsingbare Partie der Kaiserin, mit Spitzentönen von blendender Leuchtkraft, emphatisch gespannten Bögen und einem fast entmaterialisiert klingenden Piano. Ihr zur Seite als Kaiser James King, der in dieser Superform der heute überragende Heldentenor ist. Die Gestaltung seiner drei Monologe, unbekümmert und leichtsinnig der Aufbruch zur Jagd, verzweifelt die Falkenszene und verklärt schon "die ganz andere ’Gralerzählung’" (Hofmannsthal), mit rein stimmlichen Mitteln ist phänomenal.

Dietrich Fischer-Dieskaus Barak ist kein Tropf, sondern ein einfacher Mensch voll überfließender Güte und Herzlichkeit. Ergreifender ist wohl nie auf einer Opernbühne gesungen worden. Hildegard Hillebrecht hat sich nach ihrer Isolde in Köln mit dem Weib des Färbers Barak eine weitere hochdramatische Partie zu eigen gemacht. Die warme, frauliche Mittellage - betörend, ja erotisch klingt sie - und die stählerne, schneidende Höhe prädestinieren sie für dieses gespaltene Wesen zwischen Megäre und Liebender. Schließlich Astrid Varnay in der großen Mezzopartie der Amme: Sie ist heute in diesem Fach so überragend wie vor zwanzig Jahren als Wagner-Heroine.

Reinhard Beuth


    

     Bayern-Kurier, München, 26. Februar 1972     

Triumph ohne Schatten

[...]

Dietrich Fischer-Dieskau scheint ebenso der Prototyp des Barak zu sein, der Gestalt dieses gutmütigen, weitherzigen, aber zuerst über seine eigene Gedanken- und Erlebniswelt nicht hinausfindenden Färbers. Seine Stimme verströmt Weichheit, Wohllaut und Ruhe.

[...]

A. Brinkmann

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