Zum Liederabend am 28. April 1971 in Karlsruhe


     Badische neueste Nachrichten, 3. Mai 1971     

Fischer-Dieskau sang Schubert

Zu seinem Liederabend im großen Saal der Karlsruher Stadthalle

     

Vielleicht beruht die Bedeutung Fischer-Dieskaus, der im Augenblick wohl den Kulminationspunkt seiner Karriere erreicht hat, nicht einmal so sehr auf seinen stimmlichen Mitteln wie auf der Konturiertheit der Gestaltung der Genauigkeit und Entschiedenheit der künstlerischen Disposition und insbesondere auf einer Technik, die schon als einzigartig gelten darf. Wie Fischer-Dieskau beim Singen die Resonanzräume bis ins letzte ausnützt, ja geradezu auskostet, das wäre allein schon hörenswert gewesen. Erstaunlich auch seine Fähigkeit, thematisch und motivisch einander Zugehöriges über mehrere Takte hinweg auch ohne kleinste Atemzäsuren zu großbogigen Melodienlineaturen zusammenzubinden, ferner ein Piano, das selbst im Ersterben noch bis in die hintersten Reihen des Konzertraumes trägt, vorbildliche, nur ganz selten so akkurat demonstrierte "Voix mixte", ebenso ein "Messa di voce", wie man es eigentlich kaum besser machen kann und endlich eine Textdeklamation von höchster Präzision und Sensibilität. Alles in allem also schon von hieraus nahezu ein Idealfall für die Interpretation von Schubertliedern.

Oft genug wurde ja bereits damals, als sich Fischer-Dieskau die internationalen Konzertpodien zu erobern begann, davon geschwärmt, daß er der geborene Schubert-Interpret sei. Der englische Tenor Peter Pears hat dann ein wenig später mit der Darstellung der "Winterreise" die Dinge etwas zurechtgerückt, als er, der Forderung Sonnleithners eingedenk, ganz einfach nur die traumverlorene Lyrik Schuberts sprechen ließ und sonst nichts - aber dies nun wiederum mit einer Kunst ohnegleichen. Fischer-Dieskau war demgegenüber eine Spur zu prätentiös, zu bewußt dramatisch, zu manieristisch. Hingegen singt er jetzt Schubert in wunderbarem Ebenmaß, das aus Balance zwischen Selbstkontrolle, Ausdruckswillen und herzenswarmer Schlichtheit erwächst. Das Wort von der kongenialen Interpretation, oft genug zur abgedroschenen Phrase herabgesunken, erhielt hier wieder seine eigentliche Bedeutungskraft.

Überhaupt hatte der Abend mit Fischer-Dieskau in Karlsruhe seine Höhepunkte im Lyrischen, hatte sie freilich gerade auch dort, wo in sublime Poesie Schatten des Dämonischen einfallen, wo romantisches Melos in fernste Bezirke entrückt, dabei eine Atmosphäre verbreitend, die seltsam intensiv an jene der "Winterreise" erinnert. "Nacht und Träume", mit unsäglichem Zartgefühl gesungen, war vielleicht das kostbarste Geschenk des Abends, aber auch an "Litanei", an die Lieder "An die Freunde", und "Im Frühling" oder an "Totengräbers Heimweh" wird man sich noch lange erinnern. Die "Gruppe aus dem Tartarus" in ihrer dramatischen Chromatik erstand in gleichsam expressionistischer Formung.

Fischer-Dieskau absolvierte mit vielen Zugaben noch beinahe einen halben Liederabend dazu, so unverbraucht frisch, so elastisch in der Stimme und so raumgreifend gestaltend wie vom ersten Takt des "offiziellen" Programms an. Günther Weißenborns ganz vorzügliche Leistung als Partner am Flügel bestand in klarer und eindringlicher Deklamation der Begleitung, in sensitiver Gestaltung und minuziöser Anpassung des Klavierklanges an den Gesang - ein Grad des Könnens, den eben auch nur wenige erreichen.

E. W. V.

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