Zur Oper am 3. August 1966 in München

Münchner Merkur, Datum unbekannt

Ewig junge Münchner Arabella

Weder die Inszenierung noch die Besetzung der Münchner Festspiel-"Arabella" scheinen dem Zahn der Zeit unterworfen zu sein: Sie bleiben alle ewig jung, und das hat wohl seinen guten Grund darin, daß Straussens Musik in diesem Werk besonders kosmetisch zusammengesetzt ist. Sie streichelt und massiert, sie greift wenig zu und ist selbst voll des Glaubens, daß sie (die "Arabella"-Musik) ewig jung bleibt.

Und so freuen sich besonders die älteren Generationen an diesem Stück (was man bei dem heurigen "Arabella"-Enthusiasmus des Publikums wieder feststellen konnte). Man muß dem allerdings hinzufügen, daß die Hartmann-Inszenierung viel von dem Hofmannsthal-Staub hinwegspielt, weil sie dem melodischen Schwelgen der Strauss’schen Singstimmen Platz läßt. Und das freut den Hörer dann auch besonders, wenn er sich mit den Sängern gemeinsam tief in den melodischen Wohllaut hineinknien kann.

Für diesen Wohllaut sorgen alle reichlich, die am Kuppel- und Wechselspiel auf der Bühne beteiligt sind. Lisa della Casa - in Haltung und Kostüm von mehr als gräflich-fünfzackiger Krone: gern gesteht man ihr mindestens die neun Zacken der Königinnen zu, auch ihrem mit dominierender Überlegung plazierten Spitzentönen.

Die eigentliche Singkrone des Abends freilich möchte ich Anneliese Rothenberger zuerkennen: ihre Zdenka blüht im Singen so wie das zur Liebe erblühende Mädchen, das sie wirklich zu verkörpern versteht. Um bei den Damen zu bleiben: auch Ira Malaniuks Adelaide wird schöner, jugendlicher von Mal zu Mal und unsere Köth als Fiaker-Milli - um es wienerisch zu sagen: ein Urviech mit Koloraturen.

Dietrich Fischer-Dieskau glaubt man wirklich alles, sogar die Umarmung mit dem Bären, und seine Stimme führt er siegreich durch Liebe, Eifersucht und sonstige Stürme. Den Grafen Waldner nicht zum erbärmlichen Pumpgenie, sondern zu einer glaubhaften Vater-Figur zu machen, gelingt Karl Christian Kohn, der zudem stimmlich in einer prächtig gesunden Konstitution war. Und unter Arabellas Freiern sei der Matteo von Georg Paskuda hervorgehoben, der in seinen hellen Tenor gut die Liebes-Melancholie zu mischen versteht.

Joseph Keilberth hatte weniger straffe als der Bühne (oft zu) freie Zügel in der Hand. Dies kam dem Orchester-Farbreichtum zugute, der in "Arabella" (gegenüber dem "Rosenkavalier") schwer zu gestaltenden Durchsichtigkeit der Partitur war es weniger zum Vorteil. Doch - auch die "Arabella"-Musik kann man als ein vom Strom der Musik Getragenwerden auffassen.

Ludwig Wismeyer


Süddeutsche Zeitung, 5. August 1966     

   

Münchner Festspiele

Hartmanns feinstes Geschöpf

"Arabella" mit Lisa della Casa und Fischer-Dieskau

   

Strauss-Hofmannsthals "Arabella" spielt wie der "Rosenkavalier" in Wien, aber hundert Jahre später. Es ist ein heruntergekommenes Wien. Man hat kein Geld, die Erbtante in Görz weigert sich zu sterben, der Helfer schließlich kommt eher aus dem Märchen als aus einer Opernwirklichkeit. Aus der "Komödie für Musik" (dies der Untertitel des "Rosenkavalier") ist eine "Lyrische Komödie" geworden. Fast alle Gestalten und Vorgänge stehen im Lichte einer leisen Ironie da.

Rudolf Hartmanns "Arabella"-Inszenierung ist vielleicht deshalb eine der geglücktesten Produktionen des modernen Operntheaters, weil diese Ironie ständig ohne jede Übertreibung, ohne jeden falsch realistischen, falsch verletzenden Nachdruck mitspielt. Fischer-Dieskau, als Mandryka im zweiten Akt etwas betrunken und eifersüchtig verwirrt, benimmt sich so, daß man der Ehe Mandryka-Arabella mit einiger Besorgnis entgegensehen muß; Lisa della Casas Arabella verschleiert ihre kühle, selbstgefällige Koketterie damit, daß sie halt ihrem Herzen hörig sei: sie nimmt sich als schönes Naturereignis. Der Brautvater (Karl Christian Kohn) wird noch viele Wälder verspielen, die Brautmutter (Ira Malaniuk) auf mannigfache Schmeicheleien hereinfallen, und die Ehe der zweiten Tochter begann ebenso plötzlich wie ungewöhnlich. Hartmann hat, trotz der manchmal aufdringlich edlen Gefühle und der längst einer kritischen Analyse bedürfenden sentimentalen, mit falscher Naivität beeindruckenden Sprache die inszenatorische Ironie klug durchgehalten. (Nicht die arabelleske Wasserträgerei ist peinlich, sondern alle die Sätze sind es, die Kraft und edles Herrentum bewundern wie: "Verzeihen Sie, ich bin ein halber Bauer, bei mir geht alles langsam, aber stark." Solche Naivitäten verbot sich Hofmannsthal im "Schwierigen".) In dieser musterhaften Inszenierung drängen sich die Einfälle nie vor, behindert das Spielen nie das Singen: Dennoch wirkt es so, als seien immer alle Personen gleichermaßen beteiligt, als könnte sich die Aufführung auch ohne Musik behaupten.

Die Inszenierung ist also nicht gealtert, sie hat sogar eine sehr reizende Spontaneität gewonnen, die aus der Sicherheit, dem Eingespielt-Sein kommt. Daß einige Stimmen nicht mehr den Glanz haben, den sie vor Jahren hatten, läßt sich nicht ändern oder kritisieren. Fischer-Dieskau jedenfalls ist nach wie vor großartig, gewaltig und ein Meister ebenso der kleinen wie der großen Wirkungen, Anneliese Rothenberger machte ihre Zdenka zur Hauptrolle, Erika Köth sorgte für Leben auf dem Ball.

Was Joseph Keilberth betrifft, so steigerte er sich Akt für Akt, obschon die Partitur doch eher schwächer wird. Er zielte auf Wohllaut, auf fließende Übergänge hin. Manchmal wirkte es, als ob er einen Rosenkavalier ohne Melodien durch Dirigierinbrunst in einen Rosenkavalier mit Melodien zurückverwandeln wolle. Aber die Stärke der "Arabella" liegt ja nicht in den weitgeschwungenen Einfällen (bekanntlich teilt der Klavierauszug ja beim berühmten Duett "Aber der Richtige wenn’s einen gibt für mich" mit: "nach einer südslavischen Volksweise"), sondern in den eher kurzen, charakterisierenden Motiven, die auf ihre Weise ein Äquivalent bieten für die Ironie des Textes. Solti hat das einmal sehr herb herausdirigiert. Keilberth schmilzt dergleichen lieber in ruhigen Wohllaut um. Der im ganzen wie im einzelnen höchst festspielwürdigen Aufführung dankten, wie immer, Ovationen.

J. K.

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