Zum Liederabend am 26. Juli 1966 in Salzburg


 

  Salzburger Nachrichten, 28. Juli 1966

Fischer-Dieskaus einsamer Rang

Schumann-Programm mit Jörg Demus als erster Liederabend der Salzburger Festspiele 1966

Kaum je in den ungezählten Begegnungen der letzten fünfzehn Jahre – seit jener ersten in der ereignishaften Wiener Aufführung des Brahms-Requiems unter Wilhelm Furtwängler, von der mir sein "Herr, lehre doch mich" noch heute in den Ohren klingt – sind mir die phänomenale Begabung und die außerordentliche künstlerische Disziplin Dietrich Fischer-Dieskaus so sehr bewußt geworden, wie an diesem ersten, Robert Schumann gewidmeten Liederabend der Salzburger Festspiele 1966. Und das, obwohl – nein, w e i l es, gemessen an anderen Beispielen, kein restlos glücklicher Abend war.

Die Gründe dafür sind sicherlich in der Tagesdisposition des Künstlers zu suchen, der ein wenig abgespannt wirkte und erst nach und nach zu seiner vollen Konzentration zu finden schien. Man konnte es in der ersten Liedgruppe merken, an dem nicht immer ausgeglichenen Einsatz der Stimme in der "Widmung", an dem, wenn auch völlig unbedeutenden Konzentrationsfehler im "Nußbaum" und der ein wenig gezwungen wirkenden Ekstase des Liedes "Aus den hebräischen Gesängen". Die Stimme sprach nicht so mühelos an, wie man es gewohnt sein mag, die Scheinwerfer schienen Fischer-Dieskau zu irritieren (sie wurden nach der ersten Gruppe abgestellt), der Kontakt mit Jörg Demus wollte nicht so recht klappen. Und noch bis zur Pause zeigte manch allzu abrupter Registerwechsel, manche ein wenig theatralische Geste des Sängers eine gewisse Nervosität an. Auch Demus vermochte sich erst allmählich freizuspielen; der Klavierpart blieb, vielleicht auch infolge des kaum geöffneten Flügels, zu sehr im Hintergrund, ängstlich darauf bedacht, dem Sänger nachzugeben. Und gerade die gleichwertige Partnerschaft ist doch sonst das Merkmal dieser Künstlergemeinschaft.

War es also kein gutes Konzert? Dies zu sagen, hieße nicht nur den Jubel des Publikums desavouieren, es würde auch der großen Leistung, die Fischer-Dieskau an diesem Abend vollbrachte, nicht gerecht. Denn eben in einer nicht völlig glücklichen Disposition erweist sich der Rang eines Künstlers, seine technische und vor allem seine geistige Souveränität. Daß in der künstlerischen Gestaltung, in der Durchformung der einzelnen Lieder, ja selbst in der technischen Beherrschung der Stimme der Abend jenen Rang erreichte, der seit Jahren für viele vielleicht allzu selbstverständlich ist, machte die große Leistung des Sängers aus.

Man hat Fischer-Dieskau bisweilen vorgeworfen, daß er allzu perfekt sei, daß sein Liedgesang zugunsten der Vollkommenheit auf die Empfindung verzichte. Man hat dabei allerdings völlig überhört, daß Fischer-Dieskaus Perfektion, um dieses heute allzu oft mißbrauchte Wort einmal in seiner ganzen Tragweite zu fassen, auch die Empfindung, allerdings in einer höheren, künstlerisch sublimierten Form miteinschließt. Wenn Fischer-Dieskau Schumann singt, und unter den Liedern des Meisters besonders solche nach Gedichten von Heinrich Heine, so ist in seiner Interpretation nicht nur Musikalität, völlige Beherrschung des Singtechnischen und virtuose Kunst der Deklamation, sondern auch ein tiefes B e w u ß t–Sein der geistigen Haltung und des Stilkreises, aus welchen diese Lieder stammen; ein umfassendes künstlerisches Begreifen und Sichtbarmachen der Eigenart des interpretierten Liedes. Im speziellen Fall so sehr, daß man sogar die leise Diskrepanz zwischen der romantischen Ironie Heines und der leidenschaftlichen Ehrlichkeit seines Komponisten zu begreifen vermag. Was zählt da der möglicherweise nicht in jedem Moment voll vorhandene Einsatz des Emotionellen, der noch dazu bei einem Künstler von Fischer-Dieskaus Vielseitigkeit physisch kaum möglich ist? Auch die Emotion, das heißt, die Unmittelbarkeit des durch den Dichter, den Komponisten künstlerisch geformten Erlebnisses ist in Fischer-Dieskaus Interpretation ein selbstverständlicher Teil.

Wer vermöchte die unendlich zarte Stimmung des Liedes "Ich wandelte unter den Bäumen" oder die wortarme Tragik "Anfangs wollt’ ich fast verzagen" überzeugender, inniger zu gestalten, wer fände für die zarte, sehnsuchtsvolle Ironie der "Lotosblume" oder für "Dein Angesicht" so klare, unsentimentale Töne? Wer könnte den verzweifelten Sarkasmus in "Warte, warte, wilder Schiffmann" oder die hintergründige Lustigkeit des "Kontrabandiste" so überlegen bis in die feinsten Nuancen auskosten?

Gerade darin, daß dem Sänger an diesem Abend manches schwerer zu fallen schien als sonst, daß er (und auch Demus, dem im zweiten Teil ebenfalls manches vollendet schön gelang) sich die volle Konzentration erst erkämpfen mußte, erwies sich Fischer-Dieskaus einsamer Rang unter den Liedersängern unserer Zeit.

Gottfried Kraus


Kurier, Wien, 28. Juli 1966     

  

Wie lieblich ist das Mädchen

Im Mozarteum: Erster Liederabend mit Dietrich Fischer-Dieskau

   

Dietrich Fischer-Dieskau hat, wie jüngst in Wien, nun auch in Salzburg einen ganzen Abend lang Schumann gesungen, wiederum mit Jörg Demus als idealem Mitgestalter am Bösendorfer. Das Programm war, wie es sich für einen Künstler von Rang gehört, weitgehend verändert, Heine-Gedichte hatten mit dem Liederkreis op. 24 und fünf anderen Liedern den Vorrang, Geibel war mit sechs Titeln vertreten, Rückert und Julius Mosen und ein Stück aus den Hebräischen Gesängen machten den Abend komplett.

Aber auch Dieskau selbst schien verändert, stimmlich ausgeruht, erholt, ausgeglichener als in der letzten Zeit. Ebenso ist das Festhalten an einer größeren Natürlichkeit des Vortrags dankbar zu vermerken, an spontanem Ausdruck, der keine selbstherrliche Demonstration der Kunst des Singens, des Artikulierens, der Wortprägung und aller dazu gehörenden Nuancen gestattet. Die notwendige Beherrschung der Lieder im Geistigen und Musikalischen wie im Technischen hat dadurch nichts verloren.

Das Besinnliche, ob es mehr lyrisch eingefärbt ist oder melancholisch gerändert, liegt Dieskau besonders ("Der Nußbaum", "Morgens steh’ ich auf und frage", "Die Lotosblume"), für die Nachgestaltung des Pittoresken hat er eine ganze Skala an illustrierenden Zischkonsonanten bereit ("Mein Wagen rollet langsam"), für das naiv Empfundene eine Schlichtheit des Intonierens, die das Raffinement des Nuancierens völlig kaschiert ("O wie lieblich ist das Mädchen"). Und für das humorig Skurrile ein Parlando, das in bedrohlicher Verhaltenheit abschnurrt ("Der Kontrabandiste").

Das Organ strömt, wie erwähnt, geschmeidiger, als dies in den letzten Jahren der Fall war, Mittellage und die Terz darüber haben samtenen Klang, auch die Tiefe ist nicht ohne Wärme, und in der Höhe tröstet häufig ein falsettversetzter Ton über die sonst unvermeidliche Stimmschärfe hinweg. Leider leidet unter ihr nicht selten die Gestaltung, wenn im Lied "Dein Angesicht" der Text vom "erlöschenden Himmelslicht" plötzlich mit berstendem Tenorklang gepaart oder, umgekehrt, in der verzweiflungsvollen, dramatischen "Melancholie" in der letzten Zeile ein einziger hoher Ton gesäuselt wird.

Jörg Demus war der musikalisch und klavieristisch hochwertige Partner, als den man ihn seit langem schätzt. Ein eminenter Künstler, der weiß, wann er sich unterzuordnen und wann er hervorzutreten hat.

Großer Begrüßungs- und langer Schlußapplaus im seit vielen Wochen ausverkauften Mozarteumssaal.

Herbert Schneiber


     

     Die Presse, Wien, 28. Juli 1966     

    

Lieder statt Oper

Fischer-Dieskau sang Schumann im Mozarteum

    

Der Sänger Dietrich Fischer-Dieskau, in diesem Sommer ausnahmsweise nicht der hervorragende Graf in der "Hochzeit des Figaro", brachte sich einen Tag nach der Premiere dieser Oper mit einem Liederabend im Mozarteum in Erinnerung – allen denen, die am Vorabend vielleicht nicht ausschließlich an ihn dachten und nur einfach nach einem besseren Grafen suchten.

Fischer-Dieskau sang ausgewählte Lieder von Robert Schumann, begann mit der "Widmung" und interpretierte dann den Liederkreis op. 24 (nach Heinrich Heine) ganz vortrefflich, ließ einige Nervosität merken, wo sie sonst bei ihm keineswegs zum Vorschein kommt, war aber dennoch gegen Ende des ersten Programmteils wieder ganz hervorragend. Waren ihm anfangs Textzeilen entfallen und einige exponierte Töne nicht eben gelegen, so fand er doch mit den beiden letzten Liedern "Anfangs wollt’ ich fast verzagen" und dem unmittelbar anschließenden "Mit Myrthen und Rosen, lieblich und hold", in die Stimmung, die Heine und Schumann entspricht und von der sich so wenig sagen läßt. Wer sie kennt und sich von ihr gefangennehmen läßt, erlebt alle Freuden der Eingeweihten. Wer ihr fremd gegenübersteht oder sich auch nur kritisch naht, wird wohl nicht einmal imstande sein, die weit über die Romantik hinausweisende tonschöpferische Kraft Schumanns zu bewundern.

Nach der Pause wurde es populärer. "Die Lotosblume", das unbeschreibbar schöne Bild "Abends am Strand" und "Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht" – nur zu singen, wenn ein Klavierpartner vom Format eines Jörg Demus mitwirkt und alle Farben gibt, die Schumann da köstlich aus Nebel, Trostlosigkeit, Romantik, Innigkeit und Liederliebe gemischt hat – leiteten zu den Zigeunerliedchen, mit denen das offizielle Programm schloß.

Daß Fischer-Dieskau mit dem "Kontrabandiste" nicht schließen würde, stand für ihn wie für das Publikum fest. Zugaben wurden erbeten und selbstverständlich gegeben, ein ganzer fünfter Programmteil rundete erst das Bild, das sich der Künstler von seiner Präsentation wohl schon vorher gemacht hatte.

Franz Endler

zurück zur Übersicht 1966
zurück zur Übersicht Kalendarium