Zum Liederabend am 12. Mai 1966 in Hamburg


Hamburger Abendblatt, 13. Mai 1966

Eine Lanze für das Beethoven-Lied

Dietrich Fischer-Dieskau sang in der Musikhalle

Kein Sänger könnte es sich leisten, einen ausschließlich Beethoven gewidmeten Liederabend zu geben. Dietrich Fischer-Dieskau ist nicht nur so berühmt, daß er seine Programme dem Publikum diktieren kann, er ist auch so gewissenhaft, daß er sich der Mühe musikwissenschaftlicher Studien unterzieht, um seine Zuhörer sachlich zu überzeugen. Seine im Programmheft veröffentlichten "Randnotizen zum Thema Beethoven-Lied" untermauerten sein Vorhaben, seine künstlerische Überzeugungskraft brachte auch den letzten Zweifler dazu, die Rehabilitierung des Lieder-Komponisten Beethoven anzuerkennen.

Durch seine unvergleichliche Textbehandlung, die jedes Detail wichtig nimmt, die sonst kaum beachtete Pointen aufspürt und Akzente setzt – durch überreich nuancierte Stimmführung und ausgefeilte dynamische Schattierungen belebt Fischer-Dieskau jedes Lied mit konzentrierter Empfindung: Von den schlichten Gellert-Strophen und geistlichen Gesängen bis zu den romantisch überschwenglichen Bekenntnissen eines leidenschaftlich liebenden Herzens. "An die ferne Geliebte", "Adelaide" oder die Goethe-Vertonung "Was zieht mir das Herz so?" seien nur hervorgehoben, um Beispiele zu nennen, wo seine Interpretation das äußerste an Gefühlsspannung erreichte. Vertrauter, mitdenkender Partner am Flügel: Günther Weißenborn. Fünf Zugaben, darunter das ergreifend innige "Ich liebe dich" bereicherten das außergewöhnliche Programm. Für das begeisterte Publikum in der bis zum Podium ausverkauften Großen Musikhalle hätte der Liederabend bis Mitternacht dauern können.

S. T.

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