Zum Konzert am 28. April 1966 in Wuppertal


General-Anzeiger der Stadt Wuppertal, 29. April 1966

Begeisterung im Meisterkonzert:

Zwanzig Jahre danach

Die Bamberger Symphoniker, Paul Hindemith und Gustav Mahler

[...]

Hindemiths sinfonisches Konzentrat seiner Oper "Mathis der Maler" ist ein Bekenntnis hohen ethischen Rangs, Spiegel eines Künstlerlebens und –ringens, kreisend um die Flammenschrift des Isenheimer Altars. Joseph Keilberth, der Musiker mit dem Beethoven-Kopf, trotz seiner Münchner Verpflichtung den "Bambergern" als Chefdirigent weiterhin verbunden, hat das Organ für die Glaubenskraft dieser Musik, die in Bach wurzelt und bis zu Bruckner sich weitet. Das polyphone Gewebe des "Engelskonzerts" kann man sich wohl noch herber gezeichnet, durchsichtiger vorstellen, schärfer in der Stimmen-Intonation, verhaltener auch – wie jedoch in der "Grablegung" Holzbläser und Streicher innig, stockend klagten, wie zu Beginn der "Versuchung des heiligen Antonius" das Streicher-Rezitativ aus dem Pianissimo zum schmerzenden Tutti-Ausbruch geradezu dämonisch anschwoll, die Erregung schließlich im "Lauda-Sion"-Hymnus der Holzbläser und im "Alleluja"-Jubel des Blechs gipfelte, das teilte sich dem Hörer mit bewegender Eindringlichkeit, mit offen blühendem Klang mit.

Diesen zu genießen, bot Gustav Mahlers "Lied von der Erde" noch mehr Gelegenheit. Was in der Sinfonie genannten Kantate an Trauer und Freude, an Sehnsucht und – dominierend – an Weltschmerz und Todesnähe steckt, das äußert sich in den Farben und lebensvoll pulsierenden Motiven und Figuren der Einzelstimmen mehr als im Gesamtklang des Orchesters, das wächst und gerinnt aus dem Detail zum Ganzen. Keilberth und seine Musiker waren aufmerksam und einfühlsam genug, das Töne-Mosaik aufs sauberste zu feilen und zu einem kräftig atmenden Organismus zu fügen. Die Wärme der Empfindung war stets spürbar, ohne daß die Akribie der Ausformung darunter gelitten hätte. Und mit welch geringem dirigentischen Aufwand wurde das erreicht!

Aber was nützte alle orchestrale Leistung, wenn die altchinesische Lyrik (in der Nachdichtung Hans Bethges) unzulänglichen oder auch nur durchschnittlichen menschlichen Stimmen anvertraut wäre! Keilberth hatte Sänger von Spitzenklasse zur Verfügung. Der Tenor Ernst Haefliger ließ aufbegehrenden Trotz, das Ungestüm trunkener Jugend mit Leidenschaft und Inbrunst vernehmen, war aber auch der zarten Idylle (beim Pavillon aus Porzellan) mit Anmut zugetan. Feiner Nuancen in der Tongebung fähig, konnte er freilich in der angespannten Höhe Anstrengung nicht verhehlen, was andererseits bei so echauffiertem Bekenntnis nicht zu stören braucht.

Haefligers Partner war nicht wie gewöhnlich eine Altistin, sondern ein Bariton (Mahler selbst hat die Wahl offengelassen). Man kann der Männerstimme grundsätzlich den Vorzug geben, man muß es, wenn Dietrich Fischer-Dieskau den Part übernehmen kann. Vollendeter können diese drei Gesänge nicht gesungen werden. Hier stimmt jede Silbe, und in jeder Note schlägt der Herzton eines müden Einsamen (Mahlers selbst), der nur im Gesang von den Mädchen und Knaben sich etwas lockert und entspannt. "Der Abschied" wurde zu einem Höhepunkt vokaler Kunst schlechthin. Schlicht und gelöst, ohne jeden aufgesetzten "Drücker", souverän die dynamischen Akzente aneinander bindend, verzauberte uns die begnadete Stimme. Hier münden wirklich alle menschliche Erfahrung und Sprache ins Ewige, wie es das Schlußwort siebenmal, mehr und mehr ersterbend, verkündet.

Enthusiastischer Beifall nach einem einzigartigen Konzert.

Alfred Mayerhofer

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