Zum Liederabend am 20. April 1964 in Duisburg

General-Anzeiger, Duisburg, 22. April 1964

"Die schöne Magelone"

Liederabend mit Fischer-Dieskau im 8. Meisterkonzert

Was kaum einem andern Liedersänger gelingt, den großen Saal der Mercatorhalle bis in den letzten Winkel mit seiner Stimme zu füllen, den Raum vergessen und die Zeit stillstehen zu lassen, das erlebten wir im Liederabend von Dietrich Fischer-Dieskau im Rahmen des 8. Meisterkonzertes der Konzertdirektion Rudolf Wylach. Der Einwand, der kammermusikalischen Intimität des Liedes werde in einem großen Saal Abbruch getan, gilt bei Fischer-Dieskau nicht. Sein Bariton schwebte scheinbar losgelöst im Raum, die Töne kamen ganz natürlich aus Worten und die Worte aus Tönen in einer innigen Wechselwirkung und Zusammengehörigkeit.

Diese Kammerkunst der Worte und Töne demonstrierte Dietrich Fischer-Dieskau an dem Romanzenzyklus von Ludwig Tieck "Die schöne Magelone" in der Vertonung von Johannes Brahms. Die vollendete Gestalt des Liedes wurde durch die nachschaffende Kunst des Sängers in kaum zu übertreffender Reinheit und Vollkommenheit dargeboten. Die Steigerungen in "Ach, wie trügend ist die Welt!" waren nicht künstlich gewollt, sondern ergaben sich aus dem innersten Sein des Liedes; die fahle Beleuchtung in "Wir müssen uns trennen" wurde jäh zerrissen von der Liebesqual des einsamen Menschen.

Erdachtes Leben und gelebtes Leben flossen in Fischer-Dieskaus Darstellung in eins zusammen, und es ist sein Geheimnis, die Stelle zu finden, wo sich Kunst und Leben begegnen. Wie sehr auch dem Sänger das Schweben des Brahmsschen Liedes zwischen Klarheit und Gefühl entgegenkam, wie sehr er den rasch wechselnden Seelenlandschaften der Miniaturen der "Magelone" nachspürte, indem er den Wandel von sensibler Zartheit zu abgründigem Schmerz, von innigem Gefühl zu Trostlosigkeit glaubhaft machte: immer wurde das Lied in einer Natürlichkeit und Einfachheit Gestalt, bei der die Superlative der Anerkennung verblassen. Selbst da, wo Fischer-Dieskau Tempi beschleunigte oder dehnte, hatten wir das Gefühl, daß es so sein müsse.

Günther Weißenborn folgte am Flügel der Ausdeutung des Sängers, ohne jemals die Eigenbedeutung des Klavierparts zu übersehen. Die begeisterten Zuhörer spendeten Ovationen des Dankes.

- asm -

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