Zum Liederabend am 11. März 1963 in London

    

     Englische Rundschau Köln, 29. März 1963     

    

Dietrich Fischer-Dieskau

Von Philip Hope-Wallace

     

Das ergriffene Schweigen eines Publikums, das gekommen war, um einen großen Sänger zu erleben, das Ausmaß des Beifalls - es konnte gar keine andere Reaktion geben. Dietrich Fischer-Dieskaus Schubert-Abend in der Royal Festival Hall - für den, obwohl in der Presse nicht angekündigt, schon wenige Stunden nach Beginn des Vorverkaufs keine Karten mehr erhältlich waren - wurde als jenes Unbeschreibliche, eben als "Erlebnis" empfunden: ungeheure Erwartung, überreich erfüllt. Ich glaube, der Saal war voll besetzt durch Menschen, die gleich mir im Schubert-Lied wie in wenigen anderen Kunstformen den Hauch der Unsterblichkeit ahnen - besonders bei einem Sänger von diesem Format mit Gerald Moore am Flügel.

Wir hörten wirklich eine vortreffliche Auswahl, so beispielsweise das erste Lied der zweiten Gruppe, Freiwilliges Versinken, dessen stolze Worte "Ich scheide herrlich, naht die Nacht" von gänzlich unsentimentaler Resignation erfüllt waren. Das deutsche Lied steht zuweilen einmalig da - als Drama, als poetisches Werk, als Gebet.

Was wir erlebten, war eine Mischung von Altvertrautem und wenig Bekanntem, obgleich man hier nicht dogmatisch sein sollte, denn es wird immer Zuhörer geben, denen sich das "Ach sie flehen dich" im Ständchen als ein neues Wunder offenbart (bei diesem Sänger, glaube ich, erhielten die Worte selbst für die ältesten Zuhörer einen neuen Klang). In Wahrheit aber ist die Zusammenstellung eines Schubert-Programms weniger leicht, als man vielleicht annimmt. Erlkönig, Der Wanderer, Gruppe aus dem Tartarus - ja, aber es war der wenig bekannte Memnon, der im ersten Teil des Programms am stärksten beeindruckte (Schillers Lobgesang auf Theben  - Schuberts Sichemporschwingen zu den "Sphären edler Freiheit, reiner Liebe..."): einer der Höhepunkte des Abends. Du bist die Ruh wurde meisterhaft vorgetragen. Der Einsame schloß mit der herzerquickenden Schlichtheit und Heiterkeit eines Menschen, der seufzt und spricht: "Ja, es ist zu schön, um wahr zu sein, und dennoch ist es wahr."

In der Tat höre ich Fischer-Dieskau lieber, wenn er verhalten singt, als dort, wo er zum Crescendo ansetzt, da seine Stimme dann für mich etwas an Schönheit verliert. Wie sehr aber hat sein mezza voce in den letzten Jahren an Ausdruckskraft gewonnen! Unter den Zugaben war das bezaubernd gesungene An die Musik und Nachtviolen.

(The Guardian)

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