Zum Opernabend am 25. August 1962 in München

 

     Süddeutsche Zeitung, 28. August 1962     

    

Die zehnjährige Arabella

Rudolf Hartmanns Strauss-Inszenierung bei den Münchner Festspielen

     

Anno 1952. Die Antrittsinszenierung des neuernannten Staatsintendanten Rudolf Hartmann war "Arabella", wie sich's für Straussens Regie-Intimus schickte. Die Aufführung, deren Alt-Wiener Hotel- und Fiakerballmilieu Helmut Jürgens in welkem k. und k. Pastell baute, steht heute noch auf dem Spielplan. Während es am Theater gang und gäbe ist, daß sich auch die schönste Vorstellung "abspielt", hat sich die Münchner "Arabella" allen Bühnengesetzen zuwider "hochgespielt" zu einer szenisch-musikalischen Kostbarkeit, zu einer Quintessenz von Hartmanns Regisseur- und Intendantenabsichten, zu einem Festspiel der verklärten Diesseitigkeit. Die deutschen, nein, die europäischen Koryphäen ihres Fachs stehen heute auf dem Besetzungszettel dieser "Arabella", und Joseph Keilberth, der während der Festspiele mit ungeminderter Intensität ein Pensum absolviert, das manchen seiner Kollegen erbleichen ließe, waltet als dirigentischer Primus inter pares über den nervigen Klangreizen der Partitur. Keine Strauss-Stadt des Kontinents tut es hier München gleich. Steht die "Arabella" auf dem Spielplan der Festspiele, ist der Geist des letzten Fürsten und Großzeremoniars der Oper anwesend. Und bei epikuräischem Genuß des Musik gewordenen Augenblicks erhebt sich der Traum von einer Zeit, die unwiederbringlich dahin ist.

Soll man Lisa della Casa oder Dietrich Fischer-Dieskau zuerst nennen? Die Palme gebührt schließlich doch dem perfekten Darsteller mit Magierstimme. Tücke des Geschicks, daß weder Strauss noch Hofmannsthal den Mandryka des Fischer-Dieskau gesehen und gehört haben! Sie hielten nämlich die Rolle für mißlungen. Man kann sich nicht auf Autoren verlassen, wenn sie über eigene Kinder urteilen. Fischer-Dieskau widerlegt alle Einwände gegen den "operettenhaften Kroaten", indem er den Konflikt aus dem slawischen Temperament, der bäuerischen Unbeholfenheit und dem Gefühlsernst des Millionenbräutigams aus der Wallachei entwickelt. Daß Fischer-Dieskau in allen Registern und Stärkegraden von gesanglicher Vollkommenheit ist und Straussens Artikulationsforderungen dabei wie ein Grundgesetz respektiert, nimmt man kaum noch wahr, wenn man den Menschendarsteller gleichen Namens sieht. Die "Capriccio"-Frage - hie Wort, hie Ton; hie Gesang, hie Spiel! - wird zu bloßer Rhetorik angesichts eines dramatisch-musikalischen Künstlers, dessen Namen man nur in Bewunderung und Verehrung ausspricht.

[...]

Wenn etwas Festspiel ist in München, dann dieses Gesamtkunstwerk "Arabella".

Karl Schumann
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