Zum Liederabend am 11. Mai 1962 in Berlin

Der Kurier, Berlin, 12. Mai 1962

Konzert-Podium wurde zur Szene

Ein Liederabend Dietrich Fischer-Dieskaus ergibt immer neue und vielfältige Aspekte. Noch ist uns die Magie seines Vortrags der "Winterreise" während der vorjährigen Festwochen in Erinnerung. Nun hatte er fünfzehn Lieder Schuberts zu einer chronologisch geordneten Reihenfolge zusammengestellt, eine Fülle gegensätzlicher Charaktere, die die gestaltende Kraft des Sängers aufs höchste beanspruchte.

Der Geniestreich des achtzehnjährigen Komponisten, der "Erlkönig", machte den Anfang. Hier und im "Wanderer" erschien das hinzugenommene mimische Element legitim, das Konzertpodium wurde zur Szene. Einiges hatte für den großen Raum wohl zu geringe lyrische Spannung. Dem Schluß des "Memnon" gab Fischer-Dieskau, wenn wir uns recht erinnern, vor Jahren ekstatischeren hymnischen Klang. Seltsam unsinnlich wirkten die ersten Strophen des "Ständchens", mit wunderbar zarten Farben aber wurde die "golden strahlende Welt im Abendrot" gemalt.

Die von dem großen Gestalten faszinierten Hörer im ausverkauften Hochschulsaal erzwangen sich noch viele Zugaben.

-th

 

Telegraf, Berlin, 13. Mai 1962

Fischer-Dieskau sang Schubert

Dietrich Fischer-Dieskau hat seine hohe Gesangskunst oft in den Dienst des Unbekannten gestellt, mochte es sich nun um Neues, Gegenwärtiges oder um Vergessenes aus früheren Zeiten handeln. Diesmal brachte er im Hochschulsaal aus dem weiten Kreis des Schubertschen Liedes fast durchweg solche Stücke, die den meisten seiner Hörer aus früher Jugend her vertraut sind: "Erlkönig" und "Wanderer", "An die Leier" und "Musensohn", "Im Abendrot" und "Ständchen" gehörten dazu. Dabei bestätigte sich die Annahme, daß Fischer-Dieskaus kongeniale Interpretation dem Altbekannten und durch häufigen Umgang vielleicht etwas nachlässig Behandelten seine Ursprünglichkeit, seinen Glanz, seinen hohen künstlerischen Rang zurückgeben würde. Wieweit das Wort, wieweit die Melodie dominieren muß, wieweit die Mimik, die der Opernsänger Fischer-Dieskau ja virtuos beherrscht, mit einzubeziehen ist, das wurde zusammen mit manchen anderen Elementen der Interpretation in jedem Fall individuell dosiert und überzeugend zur Einheit verschmolzen. Dabei war es erfreulich, daß der Sänger, dem eine subtile gedankliche Aufsplitterung und Problematisierung manchmal nicht fern liegt, im Lied Schuberts Unbefangenheit und Unmittelbarkeit zu wahren wußte.

Begleitet wurde Fischer-Dieskau von Gerald Moore, dem temperamentvoll zugreifenden und plastisch gestaltenden Pianisten.

K. R.

Zeitung unbekannt, 13. Mai 1962

Unerschöpflicher Schubert

Fischer-Dieskau im Hochschulsaal

    

Dietrich Fischer-Dieskaus, des Liedersängers, nachgestaltende Kraft läßt keine psychische Tiefe unausgelotet, keine Nuance des Gedankens unerforscht. Den wechselnden Stimmungen und seelischen Situationen, die eine Liederfolge einschließt, vermag sich dieser Künstler in fast medialer Hingabe anzupassen. Er hatte aus dem unerschöpflichen Fundus der Lieder Franz Schuberts seine Auswahl getroffen und durch die chronologische Anordnung eine Art von klingender Biographie des Komponisten gebildet.

Vom "Erlkönig" und "Wanderer", die als balladeske Szenen dramatisch akzentuiert wurden, ging der Weg über zartere lyrische Visionen zu den "Sternen". Unvergeßlich das verklärte "Im Abendrot". Manches verliert freilich durch die Vergeistigung des Ausdrucks und die subtile Wortdeutung an lyrischer Sinnenhaftigkeit. Im großen Raume ist vielleicht auch die poetische Verdichtung einiger der ausgewählten sehr intimen Lieder kaum noch möglich.

Die Hörer im Hochschulsaal erbaten sich zahlreiche Zugaben, unter denen die natur-mystischen, der romantischen Welt des Novalis verwandten Themen wie die "Nachtviolen" und "Nacht und Träume" den stärksten Zauber ausübten. Gerald Moore, der unvergleichliche Klavierpartner, wurde zu Recht in den Beifall eingeschlossen.

K--r

zurück zur Übersicht 1962
zurück zur Übersicht Kalendarium