Zum Konzert am 14. März 1962 in Berlin

Der Tagesspiegel, Berlin, Datum unbekannt

Glanz des Baritons

Dietrich Fischer-Dieskau

Die Trauermusik auf den Tod eines kunsterfahrenen Kanarienvogels, als Kantate für Singstimme und Instrumente in Arien und Rezitativen ausführlich und kunstreich gesetzt, war der Ausklang eines Abends im Hochschulsaal, den Dietrich Fischer-Dieskau und ein prominentes Solisten-Ensemble dem einst überschätzten, heute vielleicht unterbewerteten Barockmeister Georg Philipp Telemann widmeten. Den Protagonisten der romantischen Opernbühne als Interpreten barocker Musizierfreude und barocken Humors zu erleben, war nicht der einzige Reiz dieses Abends. Wie leicht dieser unvergleichliche Sänger das barocke Melos und den Schmuck der Triller, Mordente und Passagen intoniert, wie er in allem formalen Zierat die Essenz des Ausdruckshaften aufspürt, ohne doch jemals in ein primitives, direktes Espressivo zu verfallen, das ist wieder eine neue Nuance in seinem universalen Stilrepertoire. Wie er die kleinen melodischen Sinnsprüche, die Aphorismen über Glück, Einsamkeit, Wein und Liebe formuliert, das zeugt von einer Fähigkeit der sängerischen Pointierung, die jenseits des Historisch-Bedingten im Kern der liedgewordenen Lebensweisheit ansetzt; und es ergibt sich der überraschende Eindruck, daß romantisches Lied und barocke Kantate nicht unvereinbare Gegensätze, sondern zwei Formen eines durch die Zeiten bestehenden Ausdruckswillens sind.

Lieder und Kantaten waren von Suiten und Sonaten, Proben aus dem unübersehbaren instrumentalen Schaffen Telemanns, umgeben, eine gefällige, gleichförmige und doch nicht monotone Kunst, die ihre feinen und gediegenen Reize offenbart, wenn sie von so hervorragenden und stilerfahrenen Musikern gespielt wird, wie hier versammelt waren: Edith Picht-Axenfeld am konzertierenden und Gerhard Kastner am begleitenden Cembalo, Irmgard Poppen als diskret grundierende Continuo-Cellistin, der Geiger Helmut Heller, der Bratscher Heinz Kirchner, vor allem der dem Sänger die Waage haltende, im expressiven und figuralen Spiel gleich vollkommene Oboer Lothar Koch – ein Ensemble, das den Glanz alter Gesellschaftsmusik festlich erneuerte.

Werner Oehlmann

Der Tag, Berlin, 16. März 1962

Mit barockem Humor

Solistenabend im Hochschulsaal

Dieses Solistenarrangement hat in Berlin nun schon feste Tradition: Dietrich Fischer-Dieskau, Zentrum und Attraktion des Ensembles, singt, von einem barocken Instrumentarium akkompagniert, Stücke aus den Randgebieten der Literatur, die ihre Popularität, nicht aber ihren Kunstwert verloren haben. Telemann, dem Hamburger Zeitgenossen Johann Sebastian Bachs, war dieser Abend zugedacht (wobei die Frage, wer wessen Zeitgenosse sei, nicht immer mit jener Entschiedenheit beantwortet wurde wie in unserer Zeit und sicher auch an diesem Abend).

Immerhin, der Humor seiner Lieder und seiner "Tragikomischen Kantate über den Tod eines kunsterfahrenen Kanarienvogels", seine Suiten und Triosonaten fanden die herzliche Zustimmung des vollen Hochschulsaales und verdienten sie dank ihrer kunsterfahrenen Interpreten: Dietrich Fischer-Dieskau, Helmut Heller (Violine), Lothar Koch (Oboe), Irmgard Poppen (Cello) und Edith Picht-Axenfeld am Cembalo.

n-l

Telegraf, Berlin, Datum unbekannt

Kammermusik von Telemann

   

Georg Philipp Telemann zählt zu den produktivsten Komponisten der Barockzeit. Neben seinen Passionen, Oratorien und Kantaten nimmt die Kammermusik breiten Raum ein. Daß in diesem gewaltigen Œuvre neben Routinearbeiten auch sehr viele Schöpfungen von persönlicher Originalität aufzufinden sind, das zeigte ein Abend im Hochschulsaal, der ausschließlich dem Werke Telemanns gewidmet war. Der Bariton Dietrich Fischer-Dieskau deutete die meist didaktischen Liedertexte mit feiner Charakteristik und fand in den Kantaten den schmunzelnden Unterton echten Humors; seine Interpretation der "Trauermusik eines kunsterfahrenen Kanarienvogels" war ein sängerisches und parodistisches Glanzstück zugleich. Instrumentalstücke für wechselnde Besetzungen rundeten den Abend ab.

Lothar Koch, Oboe, Helmut Heller, Violine, und Edith Picht-Axenfeld, Cembalo, waren die brillant konzertierenden Solisten, von Irmgard Poppen, Violoncello, Heinz Kirchner, Viola, und Gerhard Kastner, Cembalo, wirkungsvoll unterstützt.

M. F.

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