Zur Oper am 8. Januar 1962 in Berlin

Tagesspiegel, Berlin, 10. 1. 1962

Carl Eberts "Falstaff"

Wiederaufnahme der Verdi-Oper in den Spielplan

Carl Eberts komödiantisch inspirierte; mit shakespearischem Humor gesegnete "Falstaff"-lnszenierung, der Dietrich Fischer-Dieskaus überragende, von gesanglichen und schauspielerischen Finessen schillernde Verkörperung des närrisch-weisen Sir John das Gepräge gibt, ist in den Spielplan der Deutschen Oper eingefügt worden, in den meisten Partien neu besetzt und von einem neuen Dirigenten geleitet. Alberto Zedda, zweifellos ein gewandter, temperamentbegabter Kapellmeister, gibt nicht das, was wir eigentlich an dieser Partitur bewundern, nicht das klare, "trockene" Filigran der Rhythmen und der thematischen Abstraktionen, nicht die geistige Höhenluft des tiefironischen Alterswerkes; aber er läßt das Orchester klingen, er musiziert mit stetig sich steigerndem Elan, er gibt der Musik einen Zuschuß an Naivität und Vitalität, der sie verwandelt, aber nicht vergewaltigt; Geist und Poesie, die Elemente der Falstaff-Partitur; kommen auch in dieser Interpretation zur Wirkung.

Die "mittelmäßige Menschheit", die den abenteuernden Ritter umgibt, ist gleichwohl in exzellenten Exemplaren vertreten. Der Star in der Phalanx seiner bürgerlichen Gegenspieler ist Pilar Lorengar als Alice Ford: eine herzhafte, liebenswerte Dame von Windsor, bestrickend und die Bühne beherrschend durch den kernigen, kultivierten Wohllaut ihres Soprans. Alice Oelke assistiert in der Altlage als Frau Page, Ruth Hesse gibt der abgefeimten Zwischenträgerin Quickly Charme, Witz und beachtliche stimmliche Kultur. Das Paar Fenton-Ännchen (Donald Grobe, Lisa Otto) bringt die von Verdi spärlich dosierte Lyrik mit unüberhörbarem Wohllaut zur Geltung. Julius Katona, Karl Ernst Merkker, Fritz Hoppe verkörpern die Buffotypen. Thomas Stewart wächst als eifersüchtiger Ford zum expressiv-baritonalen Gegenspieler Sir Johns; die Komödie der Gefoppten, die in die brillante, geistsprühende Fuge "Alles ist Spaß" ausläuft, hat im neuen Hause ihre Stätte gefunden.

Oe

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