Zum Liederabend am 26. Mai 1960 in Hamburg

Zeitung und Datum unbekannt 

Fischer-Dieskau sang Wolf

Auch einmal einen g a n z e n Hugo-Wolf-Abend im großen Gedenkjahr – dieser Verpflichtung kam Dietrich Fischer-Dieskau nach. Er ist es als Pionier erlesener Liedkunst gewiß gern und er konnte aufmerksamer Hörer sicher sein, die besondere Erlebnisse erwarteten.

Er hatte eine Reihe, etwa die Hälfte aus den Mörike-Liedern gewählt, die H. J. Moser ein "wundersames deutsches Hausbuch" genannt hat. Wundersam sind sie auch darin, daß sie wie in einem Geheimnis des schöpferischen Vorganges entstanden sind. Wolf schrieb sie in einem Zuge wie in höherer Eingebung nieder, ohne daß er etwas zu ändern brauchte.

Fischer-Dieskau spürte ihren Schönheiten, ihren feinnervigen Stimmungen mit dem Prinzip und der Kunst seiner Wort-Tongestaltung (Pianowirkungen) nach, die freilich an diesem Abend mehr in gehaltvoll dramatisch-deklamatorischen Werten ihre Schwerpunkte hatte. Das Lyrische an sich, a l s K l a n g , wie es in österreichischen Seiten dieser Liedkunst wirkt, wollte sich nicht immer so biegsam entfalten, wie man es gleichfalls wünschen möchte. Manches wirkte sogar stimmlich zu spröde und war in den Ansprüchen, die Wolf an Treffsicherheit in Intonation und in den Intervallen stellt, nicht ganz ausgeglichen. (Etwas Ermüdung der Stimme durch zu starke Inanspruchnahme?)

Wenn sich das Lied zur kleinen Opernszene weitete (der Humor der "Storchenbotschaft", des "Zur Warnung") war Fischer-Dieskau, auch im kraftvollen Forte, besonders in seinem Element. Vom Begleiten am Klavier kann bei Hugo Wolf keine Rede sein, nur vom Mitschaffen. Günther Weißenborn wußte manchen Goldadern der Vertonung nachzuspüren. Die große Fischer-Dieskau-Gemeinde gab zum Schluß ihrer Verehrung und ihrem Dank nachhaltigen Ausdruck.

BR.-SCH.

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