Internationale Musikfestwochen Luzern 1971,
Freitag, 3. September 1971, 20.00 Uhr, im Kunsthaus
  

Lieder nach Gedichten von J. W. von Goethe

Dietrich Fischer-Dieskau   
Pianist: Irwin Gage

Herzogin Anna Amalie von Sachsen-Weimar:
Auf dem Land und in der Stadt (aus "Erwin und Elmire"

Johann Friedrich Reichardt:
Feiger Gedanken bängliches Schwanken (aus "Lila")

Carl Friedrich Zelter:
Gleich und Gleich

L. van Beethoven:
1.) Mailied
2.) Neue Liebe, neues Leben

F. Schubert:
1.)An den Mond
2.) An Schwager Kronos
3.) Meeres Stille
4.) Erlkönig (aus die Fischerin)

R. Schumann:
1.) Freisinn: (aus dem "West-Östlichen Divan")
2.) Sitz ich allein ((aus dem "West-Östlichen Divan")
3.) Setze mir nicht: (aus dem "West-Östlichen Divan")

J. Brahms:
1.) Serenate (aus "Claudine v. Villa Bella)
2.) Unüberwindlich

R. Strauss:
Gefunden

Othmar Schoeck:
Dämmrung senkte sich von oben

Max Reger:
Einsamkeit

Ferruccio Busoni:
Zigeunerlied

H. Wolf:
1.) Wanderers Nachtlied
2.) Frühling übers Jahr
3.) Anakreons Grab
4.) Kophtisches Lied
5.) Der Rattenfänger

 

6 Zugaben: u.a. 
Beethoven: Flohlied des Mephisto
Wolf: Genialisch Treiben

Aus dem Programmheft:

Von Dietrich Fischer-Dieskau

Der Gedanke, ein Liedprogramm ausschliesslich Goethes Lyrik zu widmen, ist ebenso alt wie naheliegend. Solange das deutsche Kunstlied lebendig ist, wird es durch Goethe bestimmt und nach allen Richtungen hin beherrscht. Mit Vorliebe und Bedacht nannte er seine Gedichte «Lieder», denn eines ihrer Grundelemente ist das Musikalische. Auch in seinen Balladen und Versdramen ist nach Musik Verlangendes verborgen, vieles für Musik gedacht. Man kann ihn als Anfang und Ende der Liedkunst ansehen, denn von ihm geht die musizierbare Lyrik aus, ob sie sich nun bei den Nachfolgern im Geist findet oder von solchen stammt, die sich in Gegnerschaft an ihm reiben.

Der musikalische Niederschlag ist von einem solchen Reichtum, dass sich für den Programmgestalter Qual der Wahl einstellt, sieht man einmal von den beiden wichtigsten Goethe-Vertonern Schubert und Wolf ab. Mich lockte die weite Skala musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten, wie sie bis in unser Jahrhundert hinein durch Goethes Sprache gegeben ist. Der Bogen von der komponierenden Herzogin Anna Amalia, der einige Erstvertonungen und Uraufführungen Goethescher Singspiele zu danken sind, darunter «Erwin und Elmire» in Goethes Einstudierung bis zu dem an der Schwelle unserer Moderne stehenden Busoni ist gross. Und doch zeigt sich, wie ich meine, die Bannmeile des einen Zeichens, unter dem unsere Komponisten stehen, von einigender, die musikalischen Deutungen einander annähernder Kraft.

Reichardt und Zelter sind unter den ersten, die es verstehen, sich vom Gedicht eigenschöpferisch anregen zu lassen, wenn auch noch bescheiden der Forderung des Meisters gehorchend, die Musik habe sich der Dichtung gegenüber dienend zu verhalten. Beethovens grösste Verehrung gilt Goethe, und er ist auch als erster imstande, die Gesamtheit eines so literarisch anspruchsvollen Vorwurfs zu erfassen, durch sie zu neuen Formen des Liedes geführt zu werden, wie er das am kühnsten in dem Lili Schoenemann betreffenden Gedicht «Neue Liebe, neues Leben» exemplifiziert hat. Bei Schubert stossen wir auf jene merkwürdigen Vorfälle, die Goethe vielfach den Vorwurf musikalischer Urteilslosigkeit oder Engstirnigkeit eingetragen haben. Schubert zeigt sich während seiner ganzen Schaffenszeit von Goethe angeregt, einige Vorlagen beschäftigen ihn über lange Strecken hin und führen zu völlig verschiedenartigen Vertonungen eines Gedichts, wie im Falle des «An den Mond», jenes Epitaphs für Christel von Lassberg, der sich, «Werthers Leiden» in der Tasche, 1778 in der Ilm ertränkte. Als Goethe schon ein Greis ist, schickt der junge Schubert mit einem ehrführchtigen Schreiben drei seiner Lieder an den Meister, erhält aber ebensowenig eine Antwort wie Berlioz, der acht Stücke aus seinem «Faust» vorlegt. In beiden Fällen hat wohl die Beurteilung Zelters den Ausschlag für die indifferente Haltung gegeben.

Vielleicht ist an einem Konzertabend wie dem heutigen angebracht, einiges über Goethes Affinität zur Musik zu sagen. Der Einfluss des ganz auf Bach und Händel eingeschworenen Berliner Singakademiedirektors Zelter auf Goethe war bedeutend, seit dieser dem spät gefundenen Freund als einzigem unter den ihm in den letzten Jahren nahestehenden Männern das Du angeboten hatte. Wo Goethe seinen eigenen Ohren und nicht, wie im Falle Berlioz, dem schriftlichen Urteil des anderen vertraute, waren Beteiligung und Urteil durchaus nicht so rückständig, wie man das manchmal dargestellt hat. Beethovens Spiel in Teplitz riss ihn zu den Komponisten verdriesslich machenden Tränen hin. Und als Zelter seinen Lieblingsschüler Mendelssohn nach Weimar mitbrachte, konnte er sich über die neuartigen Klänge nicht genug erstaunen, die ihm der Junge am Klavier vorzauberte. Er schloss den aufgeweckten musikalischen Anreger so sehr ins Herz, dass er ihn am liebsten gleich in seinem Haus behalten hätte, ja ihn zu adoptieren gedachte. («Du bist mein David, ich bin Saul.») Immerhin lässt sich gerade an den Äusserungen gegenüber Zelter und dessen Antworten Goethes zutiefst nahes Verhältnis zur Musik ablesen.

Natürlich gibt auch anderes darüber Aufschluss. Schon aus der Leipziger Zeit stammt ein Operntext «La sposa rapita» von Goethes Hand. Er lernt die Flöte und das Cello spielen, gibt allerdings beides aus Zeitnot wieder auf. Auf seinen Streifzügen um Strassburg sammelt er elsässische Volkslieder, wie er sie von «ältesten Mütterkens» gesungen hört und schickt sie an Matthias Claudius für dessen «Wandsbecker Boten». So wird auch das berühmte «Heidenröslein» als «Fabelliedchen» aufgefangen und nur mehr wenig verändert. Die Weisen dazu schreibt er sich auf. Als das Schloss zu Weimar brennt, gehen Notenmanuskripte aus der Amtszeit Bachs verloren, um deren Wiederbeschaffung er sich auf späteren Reisen in allen Ecken Deutschlands hingebend bemüht. Er liefert zahlreiche Singspiellibretti, die alle mehrfach vertont werden und ihren gewichtigen Beitrag zur Entwicklung der deutschen Oper leisten. Als er die erste Prosafassung der «lphigenie» diktiert, lässt er sich Musik vorspielen, «die Geister zu entbinden». In den Briefen an Reichardt manifestiert sich eine gründliche Beschäftigung mit akustischen Fragen. Als er erfährt, dass der von ihm hochverehrte Prinz Louis Ferdinand von Preussen, ein auch von Beethoven anerkannter Komponist, verwundet ist, besucht er ihn im Lazarett zu Mannheim. Er arbeitet an einem zweiten Teil zur «Zauberflöte». Er empfängt zahlreiche Komponisten seiner Zeit bei sich, um sich vorspielen zu lassen und musikalische Fragen zu diskutieren, so Carl Maria von Weber, Spontini, Hummel, Louis Spohr und Carl Loewe. Er veranstaltet Hausmusiken bei sich und singt gelegentlich als Bassist in einem von seinem Freund Eberwein geleiteten Chor mit. Er entwirft mit Zelter eine Tabelle zur Tonlehre, die er, leider nicht ausgeführt, analog zur Farbenlehre konzipiert. Er lässt sich von Breitkopf Notenmaterial kommen, um immer wieder Musik von Bach, Mozart und Beethoven hören zu können. Er plant eine grosse Kantate zum Reformationsfest, die in allen Einzelheiten des Entwurfs vorliegt, empfängt auch schon erste Zeltersche Kompositionen dazu und beurteilt diese nach blossem Lesen eingehend in seinem Antwortbrief. Mendelssohns Komposition der 1. Walpurgisnacht lässt Goethe schreiben: «Mein lieber Sohn». Schliesslich sei noch ein eigener Kompositionsentwurf des Psalms 30 für vierstimmigen Chor erwähnt.

1826 kommt es mit dem Verleger Cotta zur Übereinkunft einer Ausgabe «letzter Hand» seiner Werke. Diese Bände im Taschenbuch-Format sichern vor allem dem lyrischen Werk weiteste Verbreitung und lassen die Flut von Kompositionen frei werden, die das deutsche Lied eigentlich ausmacht.

 

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