Elisabeth Schwarzkopf
Die Interpretin des Ausdeuters
Von Dietrich Fischer-Dieskau
Die Lust des Umwandelns, des Interpretierens
beherrschte ihr Leben. Nichts konnte Elisabeth Schwarzkopf davon abhalten, ihre
einmal gewonnene Einsicht weiterzugeben. Unerbittlich und mit einer gewissen
Härte, hinterließ sie in den noch offenen Gemütern bleibende Eindrücke, deren
Spuren es allenthalben zu entdecken gilt.
Als leichter Koloratursopran fing sie einst an,
als Zerbinetta in „Ariadne auf Naxos“ oder Marie im „Waffenschmied“ machte sie
in Berlin auf sich aufmerksam, nicht weniger mit den vom Programm her so
besonderen Liederabenden, bei denen sie Michael Raucheisen am Flügel
begleitete. Alles das habe ich als Abiturient fiebernd in mich aufgenommen und
den Krieg über nicht vergessen, zu einer Zeit also, in der sie längst mit ihrem
Mann, dem englischen Plattenproduzenten Walter Legge, nach England ausgewichen
war.
Vollkommene Interpretin
Nicht lange nach dem Kriegsende und der
Entlassung sah ich sie wieder und konnte mich nicht wundern, dass sie ganz
unter dem Einfluss ihres Mannes stand. Denn der war ein großer Liebhaber der
Kunst Hugo Wolfs, Begründer der Hugo Wolf-Society und seit den zwanziger Jahren
an einer Biographie des österreichischen Meisters arbeitend, die nie vollendet
wurde. Wolf, der penible Ausdeuter beim Vertonen von Gedichten der großen
Lyriker des neunzehnten Jahrhunderts, fand in Elisabeth Schwarzkopf seine
vollkommene Interpretin. Und in alle ihre Opernrollen, so intelligent und
vielseitig sie auch ausfielen, vornehmlich in solche von Mozart oder Richard
Strauss, floss etwas von dieser sensitiven, jedem Wort die ihm zugehörende
Klangfarbe gönnenden Singweise ein.
Zwar nicht immer nebeneinander auf dem Podium,
aber doch in stetem Austausch und geradezu magisch gegenseitig angeregt,
bewegten wir uns als Konzertierende wie als Schallplatten Aufnehmende in
korrespondierendem Sinn, in gleicher Zielrichtung, nämlich dem Liederabend eine
neue Aktualität zu sichern. Beide waren wir ebenso stark der Oper attachiert.
Eine Marschallin, eine Ariadne, eine Gräfin im „Capriccio“ und wer weiß wie
vieles andere werden wir in dieser Qualität nie wieder hören. Fast mutet ihr
Hinscheiden mitten aus pädagogischer Arbeit in hohem Alter wie ein Zeichen an,
wie rasch es mit der Kultur einer Epoche zu Ende geht und wir uns in eine
ungewisse Zukunft entlassen sehen.
Werktreue und Phantasie
Der Begriff „Werktreue“ verband sich bei ihr
ungestört mit Phantasie und einem das Publikum unmittelbar gefangennehmenden
Zugriff, wie er so dicht, so zwingend bei keiner ihrer Vorgängerinnen zu
erleben war und sicher bei keiner nachfolgenden Künstlerin zu spüren sein wird.
Besonders nicht bei all denen, die sich heute bemüßigt fühlen, das Konzertpodium
zu einem Showplace umzumodeln und konzertierte Lautkunst in willkürlicher
Bewegung und Aktion zu ersticken.
Wie man sich nicht in den Vordergrund drängt und
doch die Initiative vollkommenen Nachvollzugs eines Werkes nicht aus der Hand
gibt, das sind Dinge, die bei den Jungen heute kaum mehr eine Rolle spielen
oder auch nur gewusst werden. Also suchen wir auch ein Ringen darum vergebens.
Denn Aufsehen gilt heute mehr als Einsehen. Was Wunder, wenn das Fehlen der
Elisabeth Schwarzkopf, die den Begriff „Kunstlied“ in Vollendung vertrat,
schmerzlich empfunden wird, ob bewusst oder nicht.
Verlesen von Hans Magnus Enzensberger auf der öffentlichen
Sitzung des Ordens Pour le mérite für Wissenschaften und Künste am 4. Juni im
Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt.
Text: F.A.Z., 06.06.2007,
Nr. 129 / Seite 35